Gespräch zur Goldenen Hochzeit Der Franz*, die Paula* hatten neulich (was dieserzeiten sehr erfreulich und manchen neidisch werden lässt!) ihr Ehejubiläumsfest zum fünfzigsten der Hochzeitstage! Ein solches Fest ist ohne Frage ein Anlass, dass man Rückschau hält und einmal gegenüber stellt die Höhen und die Niederungen, was schön und gut war und gelungen, was Freude und was Glück geschenkt und das, woran man ungern denkt, lässt man die Zeit Revue passieren. Und hoffentlich, geht’s ans Summieren, gibt’s eine gute Schlussbilanz! Zurück zu Paula und zu Franz, die nämlich haben’s so gehalten, noch eh’ bei ihnen Korken knallten! - An ihrem großen Jubeltag, da ist, noch vor dem Amselschlag, die Paula hin zu Franz gekommen - und hat beiseite ihn genommen und sprach ihn solchermaßen an: „Du warst und bist mein lieber Mann, doch meine ich, es wäre richtig und auch für unsre Zukunft wichtig, wenn heute eins dem andern sagt, was ihm gefällt, was er beklagt, und wo man etwas anders wollte und wie man’s darum ändern sollte. Vielleicht ist unser Weg noch weit? Auf jeden Fall, es ist wohl Zeit, dass wir einander das bekennen und offen auch beim Namen nennen, was längst einmal gesagt sein muss! Mir macht zum Beispiel viel Verdruss - wenn ich an Gaben und Geschenke zu Weihnacht und Geburtstag denke - wie „praktisch“ du da immer bist: Die Uhr, die meinen Blutdruck misst, war sicher nützlich und recht teuer. Der dicke Wälzer: „Spar’n Sie Steuer!“ hat ganz gewiss viel Geld gespart, doch war er von der selben Art, wie andre Gaben all der Jahre: Kein ganzes Kleid, nur Meterware, aus der ich dann etwas genäht. Die Waage für die Null-Diät mit Skala für die Körperfette. Die Pfannen, Töpfe, das komplette, „stets scharfe“ Messer-Sortiment vom Sterne-Koch, den jeder kennt! Und so genau geht’s immer weiter: Vom Handy bis zum Saftbereiter, vom Strickkurs bis zum Zoobesuch, der Kittelschürze bis zum Buch ... Nur sowas gab’s von dir gewöhnlich: Sehr praktisch, aber nicht persönlich!“ Die Paula kommt zum Schluss und schweigt, indessen Franzens Miene zeigt, dass er jetzt plant, das Wort zu nehmen: „So will auch ich mich nun bequemen, nachdem ich lang auf dich gehört, nun dir zu sagen, was mich stört - und das seit heute fünfzig Jahren: Noch als wir junge Leute waren, da fing es an schon in der Frühe: Du gabst beim Frühstück stets dir Mühe, der Tisch gedeckt mit Ei und Schinken, der Kaffee stark und gut zu trinken, die Marmelade selbst gemacht und frische Blumen - eine Pracht! Nur eins, das muss ich heute sagen, war stets mir Anlass stummer Klagen: Es geht da um die Brötchen ... weil ... mir gabst du stets das Unterteil, nachdem du sie entzwei geschnitten! Nie sahst du meine stummen Bitten und nie den Wunsch in meinem Blick! So war’s mein trauriges Geschick, seit fünfzig Jahren schlimm zu leiden! Die ob’re Hälfte von den beiden, die weiche, gute nahmst du dir, die pappig-harte gabst du mir!“ Nun schweigt auch Franz und wir begeben uns jetzt zurück ins eig’ne Leben, nicht ohne noch den Schluss zu zieh’n: Wir hörten sie, wir hörten ihn und finden, wenn wir bilanzieren, dann wird der Franz wohl klar verlieren! Doch sieht man es in andrem Licht, vor allem auch aus höh’rer Sicht, dann muss der beiden Beispiel lehren: Man sollte sich beizeiten wehren und äußern, was uns nicht gefällt und uns die Partnerschaft vergällt. Denn dazu, um zu reden eben, ist Mann und Frau der Mund gegeben, die Zunge, Lippen und das Wort! Nicht erst beim Fünfzigsten - sofort! Manfred Günther * Die Namen sind geändert! Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 35