Der doppelte Weihnachtsmann Erinnerungen an die Kindheit Ich weiß, ich konnte grade lesen, bin sieben also wohl gewesen, da kam’s (es kommt bei jedem vor!), dass ich den Weihnachtsmann verlor, den Kinder als des Glaubens Gaben ansonsten meistens länger haben, so bis ins Alter neun bis zehn ...? (Warum, das sollt ihr gleich verstehn!) So hört mir zu, wenn ich berichte, warum die Weihnachtsmann-Geschichte mein Herz schon früh nicht mehr bezwang, stattdessen nach Erfindung klang. Wobei, um das noch klar zu stellen: Ich war kein Kind von jenen hellen, die Dreisatz rechnen, wenn sie zwei und Englisch sprechen schon mit drei! Es ist vielmehr genau genommen, durch andrer Schussligkeit gekommen, hier sind zu nennen mein Papa, der Onkel Hans und die Mama ... - Der Onkel war ein Junggeselle und Heiligabend stets zur Stelle, auf dass er sich am Weihnachtsfest bei uns einmal verwöhnen lässt. So kam er regelmäßig jährlich, doch war er, was mir unerklärlich, nie mit dem Weihnachtsmann vor Ort. Vielmehr, der war schon wieder fort, wenn zwei Minuten später- immer! - der Onkel trat ins Weihnachtszimmer. So sah der Weihnachtsmann ihn nie! Und umgekehrt! (War’s Allergie, die andre haben gegen Pflanzen?) So lief das Fest im großen Ganzen durch meine frühe Kinderzeit. Und trotzdem war ich ja gescheit und stellte damals auch schon Fragen: So sollte Mutter einmal sagen, wie denn der gute Weihnachtsmann bei uns und in Berlin sein kann und wie er’s schafft, dass er Millionen von Kindern, die auf Erden wohnen, in zwei, drei Tagen durchbeschenkt? Die Mutter hat mich abgelenkt (sie war wohl selber ohne Ahnung!) und gab mir damals diese Mahnung: „Man fragt nicht immer wie und wo, warum das möglich ist und so, es gibt Geheimnisse auf Erden, die Kinder nie begreifen werden. Warum ist die Banane krumm? Sie ist es halt, drum frag’ nicht dumm!“ - Inzwischen war ich also sieben und all die Jahre dumm geblieben, da kam der Tag, da ich verstand und des Geheimnis’ Lösung fand! Es war der Abend der Bescherung; er schenkte endlich die Erklärung, wie es dem Weihnachtsmann gelingt, dass hier und da er Gaben bringt, ich nämlich durft’ es selbst erleben: Die Stubenuhr schlug sechse eben. Es schneite draußen ziemlich toll, ich war schon sehr erwartungsvoll, denn immer just um diese Stunde, erklang vom Flur die frohe Kunde: „Der liebe Weihnachtsmann ist da!“ Doch Mama flüstert zu Papa ganz leis: „Ich kann das nicht begreifen, der fährt doch wohl nicht Sommerreifen!?“ Mir war nicht klar, wen sie gemeint. Der Weihnachtsmann, wenn er erscheint, kommt doch per Schlitten, der hat Kufen! Da plötzlich hört man Papa rufen: „Du großer Schreck, jetzt fällt mir’s ein, ich lass euch nochmal kurz allein!“ Dann eilt er sich und geht nach draußen. Minuten später kommt von außen der Weihnachtsmann mit „Ho-ho-hoh!“ Ich spüre, Mama ist sehr froh! (Es schert nicht mehr, dass Flocken treiben!) Der Weihnachtsmann kann kurz nur bleiben, auch geht die Sache wie gewöhnt. Als unser „Stille Nacht“ ertönt, wie stets an der Bescherung Ende, bahnt sie sich an, die große Wende, an der ein Stück der Kinderwelt ganz sacht in sich zusammenfällt ... Ein Glöckchen klingt, grad vor der Türe! „Nein!“, schreit die Mutter und ich spüre, der Weihnachtsmann ist auch entsetzt, verschwindet in der Küche jetzt, schon geht sie auf, die Tür zum Zimmer, zum zweiten Mal ist’s so wie immer: Der Weihnachtsmann tritt nun herein und fragt: „Hier muss ein Kind doch sein?“ Dann sagt er: „Auf den Tannenspitzen, da sah ich gold’ne Lichtlein blitzen ...“ Dann bricht er ab, und blickt pickiert, weil mich sein Spruch nicht int’ressiert. Auch wird er wohl begriffen haben, ich hab’ sie schon, die Weihnachtsgaben, so fragt er: „Bin ich hier verkehrt? Wer hat das Kind denn schon beschert?“ Da hebt sich jetzt mein Blick nach oben und da mein Auge so gehoben, da seh’ ich durch der Türe Spalt zur Küche nochmals die Gestalt des Weihnachtsmanns dort wartend hocken. Nun läuten der Erkenntnis Glocken in meinem Innern, mir wird klar, wer dieser und wer jener war: Papa und Hans in Maskerade! - Schau ich zurück, dann find’ ich schade, was sich mir damals offenbart: Ist’s nicht schon eine Redensart, dass zwei stets besser als nur eines? Das wäre doch was Extra-Feines, es käm’ noch heut’ der Weihnachtsmann (auch mit Geschenken!) doppelt an! Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 32