Das Pflaster Um diese Verse zu verstehen, muss man die Zeit nach hinten drehen so etwa fünfzig Jahre weit bis in die Wirtschaftswunderzeit: Die ält’ren Leser werden’s wissen, so manches musst’ man damals missen: Das Handy und das Internet, im Haus das Wasserspülklosett, die Waschmaschine, Badewanne, das Farb-TV, die Teflonpfanne. Auch gab es nirgends auf der Welt, schon E-mail oder Plastikgeld. Doch andrerseits, es gab auch Sachen, die heut’ die Sammelwut entfachen, weil niemand mehr sie produziert. Doch wer sie nutzt ist antiquiert, und muss als Mensch von gestern gelten. - Ein solches Ding - es ist heut’ selten - kriegt jetzt besonderes Gewicht ... Zwar weiß ich seinen Namen nicht, kann’s also hier nicht klar benennen, doch werden’s Ältere noch kennen: Es war ein flaches Gummiding ... konzentrisch oben Ring um Ring ... meist Dunkelgrün, nur selten heller ... ich nenn’ es jetzt mal Gummiteller. Er lag, damit das Geld nicht klirrt, beim Apotheker und beim Wirt, beim Kaufmann auch, nah bei der Kasse, damit man hier sein Scherflein lasse. Ganz deutlich jetzt, es war sein Sinn: Man legte dort die Münzen hin, (die D-Mark damals!) und die Scheine. Ich denk’, ihr wisst jetzt, was ich meine! So treten wir, es muss jetzt sein, in des Gedichtes Mitte ein, indem wir Fünfzig Jahre springen, in Zeiten, die vor allen Dingen noch einfach waren, nicht bequem und war man krank, nicht angenehm: Ein Mann vom Land, Karl-Ernst* mit Namen (damit sich’s reimt, kommt er aus Zahmen*), macht eben einen Arztbesuch in Lauterbach*, denn wie ein Fluch sind böse Schmerzen tief im Rücken an ihn gekommen, die beim Bücken ihn quälen - und schon tagelang! Grad spricht Herr Doktor Vogelsang* (er zählt sich zu den Orthopäden): „Ein Lendenwirbel hat wohl Schäden, das ist nicht schlimm, doch tut sehr weh. Ein Pflaster namens ‘ABC’ wird sicher rasch Ihr Leiden heilen! Hier das Rezept! Wenn Sie sich eilen, klappt heute noch der Pflasterkauf, die Apotheke hat noch auf!“ Wir seh’n Karl-Ernst trotz Schmerz sich sputen und mit Erfolg: Nur zwei Minuten vor Achtzehn Uhr hat er’s geschafft: Denn Apotheker Wilhelm Kraft* schließt pünktlich stets zu dieser Stunde. So wird Karl-Ernst der letzte Kunde (- was wichtig ist, dass man versteht, was gleich nun weiter vor sich geht!). Der Apotheker - in Gedanken - nimmt das Rezept des Wirbelkranken, verschwindet kurz im Hintergrund, erscheint dann mit dem Pflaster und legt’s, dass der Kunde nach ihm fasse, jetzt auf die Theke bei der Kasse. Er nennt Zwei-Fünfzig als Betrag, hört dann vom Turm den Stundenschlag ergreift die Schlüssel für die Türen und tritt, die Eile ist zu spüren, nun wieder von der Theke ab. Der Kunde merkt, die Zeit ist knapp, bezahlt nun schnell, ergreift noch schneller statt ‘ABC’ ... den Gummiteller! Mit diesem geht er nun nach Haus, zieht dort sich Hemd und Leibchen aus und klebt und bindet sich für Wochen den Teller auf die Rückenknochen! - So hält er’s einen Monat lang, dann steht bei Doktor Vogelsang, dass er Bericht und Dank erstatte, Karl-Ernst - genesen! - auf der Matte: „Ich hatte Schmerzen, dass ich schrie, doch bin, Dank Ihrer Therapie, jetzt frei von Schmerz und allen Leiden! Vor allem möchte ich beeiden: Das Pflaster namens ‘ABC’ half bestens gegen Rückenweh!“ - Als Fazit, Leser, Leserinnen, ist Folgendes hier zu gewinnen: Nehmt euch, sofern Ihr älter seid demnächst zum Suchen etwas Zeit! Schaut auf dem Boden und im Keller nach einem alten Gummiteller! Das Ding, wie unser Beispiel lehrt, ist grad als Pflaster Goldes wert! Manfred Günther (Die Geschichte ist von einem Freund verbürgt und von mir dichterisch frei nacherzählt!) * Eigen- und Ortsnamen sind geändert Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 27