Chancengleichheit? Man kann nicht immer fröhlich bleiben und auch nicht immer heiter schreiben, so nehm’ ich heut’ ein Thema dran, bei dem wohl niemand lachen kann, auch keiner lächelt oder kichert. Doch, liebe Leser, seid versichert, sehr viele warten lange schon auf die gereimte Reaktion zu „großer Tiere“ Sonntagsreden: Die deutsche Bildung förd’re jeden und jeder käme, wollt’ er nur, am Ende leicht zum Abitur und alle könnten dann studieren! Die Herkunft würde nicht diktieren, wie eines Kindes Chancen sind, denn auch die Bildung wäre blind so wie’s Justitia* zugeschrieben ... - Ist diese Meinung übertrieben? Liegt, wer so redet völlig quer? Gibt’s keine Bildungsschranken mehr? Steht allen Kindern Zukunft offen? Gewiss, man möchte es ja hoffen, doch ich persönlich glaub’ es nicht! - Ganz praktisch zeigt jetzt mein Gedicht mit einem Blick konkret ins Leben: Was ist in Wahrheit drauf zu geben, wenn wer die Chancengleichheit preist. Die Praxis dieser Frage weist uns in ein deutsches Klassenzimmer: Wer ist der Sprecher, der Bestimmer, auf den die ganze Klasse hört? Wer trägt (was die Gemeinschaft stört!) die teuren, angesagten Jacken? Wer wird die Schule spielend packen, weil Papi ihn, den er ja liebt, dem Nachhilfslehrer übergibt? Es ist der Sohn des Herrn von Quanten**, des ultrareichen Fabrikanten, der sich, so ziehen wir den Schluss, um seinen Sohn nicht sorgen muss und wär’ der blöde wie kein zweiter! - Wir geh’n in der Betrachtung weiter und blicken auf ein Gegenbild: Es zeigt uns Ann-Kathrine Hild**, die Tochter eines Arbeitslosen. Sie trägt die abgetrag’nen Hosen von ihrer Schwester Mira** auf und soll bei jedem Schuhekauf mit zwanzig Euro sich begnügen. Als Geld pro Monat muss genügen, was amtlich dafür vorgeseh’n***. Und sollte sie sich untersteh’n, zum Hildschen Geld was beizutragen, dann wird das Amt den Vater fragen, wieviel des Kindes Beitrag macht, um dann, wir haben’s uns gedacht, den Hilds es wieder abzuziehen. Will Ann-Kathrine hier entfliehen (und wär’ sie schulisch ein Genie!), gibt’s wohl nur eins: die Industrie und das schon nach der neunten Klasse! Und keiner fragt, ob ihr das passe und ob sie Höh’res wohl erreicht! Wer arm ist, bleibt auf arm geeicht schon von Geburt und bis ans Ende! Die Bildungsgleichheit ist Legende, was klar auch die Statistik zeigt: Die Zahl der bitter Armen steigt, doch neigt sich stetig bei den Reichen! Ihr Reichtum wächst ganz ohnegleichen und schaut man ihn genauer an, dann hat am Tag ein reicher Mann so viel wie Tausend Arme haben. Gewiss, es gibt des Staates Gaben, doch reichlich nur für den, der hat! Wer unten ist, wird kaum noch satt und muss sich irgendwann bequemen, die harte Wahrheit anzunehmen, die ich hier fasse - kurz und knapp: Die Bildung hängt von Herkunft ab und die - so ist’s Gesetz auf Erden - bestimmt was Menschen schulisch werden - so und nicht anders ist es meist! Was aber, bitte schön, nicht heißt, dass dies Gesetz von Gott erlassen! Der Politik zwar möcht’ es passen, doch richtig ist das Gegenteil: Gott möchte aller Menschen Heil und alle sollen das erhalten, was leben lässt und sich entfalten, so wie’s die Menschlichkeit bestimmt. Wer Kindern Bildungschancen nimmt, nur weil die Eltern Stütze kriegen (und auch als Wähler wenig wiegen!), der dient damit in dieser Zeit den Feinden der Gerechtigkeit. Manfred Günther * Justitia - Römische Göttin der Gerechtigkeit ** Alle Namen sind frei erfunden! *** Das sind 211,- € pro Monat. Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 26