Vier Freunde oder: Das jähe Ende eines Stammtischs Es ist vor Tagen erst gewesen (doch könnt ihr’s heute hier schon lesen!), da sitzt am Stammtisch ab halb Acht (meist dauert er bis Mitternacht!) ein kleines Grüppchen Herrn beisammen. Die Männer (viere sind’s) entstammen dem selben Ort im Schlitzerland*. Der Stammtisch ist für sie ein Band, das bindet, seit sie Zwanzig waren. Am Freitag - schon seit vierzig Jahren! - ist Stammtisch in der „Gold’nen Gans“**, für Frieder, Heiner, Fritz und Hans**. Dabei - um ihren Blick zu weiten - besprechen sie die Neuigkeiten und was sich jüngst in Dorf und Stadt des Schlitzerlands ereignet hat: Wie läuft’s im Großen, wie im Kleinen, in der Gemeinde, den Vereinen? Wer starb und wo gibt’s bald ein Kind (und wer denn wohl die Väter sind?). Wo herrschen Zank und Streitereien? Wer wird wohl wen in Kürze freien? Was alles ist im Ort gescheh’n? Wo lohnt’s genauer hinzuseh’n bei Ehekrisen und -problemen? - Dies und noch andres sind die Themen, die seit Jahrzehnten unsre Vier behandeln - meist bei Schnaps und Bier. Wobei - weil Männer ja nicht schwätzen, vielmehr sich „auseinandersetzen“ mit dem, „was man bereden muss“ - gibt’s hier, der Männerrunde Plus, auch kein Getratsche (wie bei Frauen!). Man(n) kann sich absolut vertrauen: Was hier am Stammtisch einer spricht, verlässt die Männerrunde nicht, vielmehr: Ein Mann kann eisern schweigen und wird sich dann noch schweigsam zeigen, setzt einer Daumenschrauben an! Ein Waschweib schwätzt - doch nie ein Mann! - Zurück zu unsrer Stammtischrunde: Es war zu fortgeschritt’ner Stunde, den Vieren war es warm und wohl (wahrscheinlich auch vom Alkohol), da äußert Fritz aus inn’rer Regung, er hätte diese Überlegung: „Prinzip bei uns ist Diskretion! Doch kennen wir uns lange schon, so möchte ich es heute wagen, euch Drei mal folgendes zu fragen: Was ist, wenn ihr ins Herz euch schaut, das Ding, vor dem euch selber graut? Der dunkle Zug, an dem ihr leidet, den anzusprechen, ihr vermeidet und der wie ein Geheimnis ist, von dem - bis heut’ - ihr selbst nur wisst?“ Dann schweigt der Fritz, doch nicht für lange, dann sagt er - leiser jetzt: „Ich fange nun gleich auch bei mir selber an. Was ich nunmal nicht lassen kann, ich will es heute nicht verhehlen, ist hin und wieder was zu stehlen - doch wie gesagt, nur hie und da! - bei REWE oder Edeka.“ Schon geht es in der Reihe weiter, der Kumpel Hans kommt nun als zweiter, doch kriegt den Mund ganz schwer nur auf: „Ihr Freunde, ich verlass’ mich drauf, es darf nicht einer von euch plaudern!“ Dann überwindet er sein Zaudern und spricht, bekennt und offenbart: „Mein Laster ist von solcher Art: Ich habe nebenbei seit Jahren schon ein Verhältnis. Sie heißt Maren und lebt in unserm Nachbarort. Nochmal: Zu niemandem ein Wort! Es weiß davon bis heute keiner!“ Der nächste ist nun Kumpel Heiner: „Auch mir fällt hier zu reden schwer! Doch ein Zurück gibt’s jetzt nicht mehr, so will auch ich’s euch jetzt entdecken: Bei mir gibt’s auch den dunklen Flecken, den ich bis heute stets versteckt: Auf meinem kahlen Haupt bedeckt ein Teil - ich nenn’ es ‘Kopfmatratze’ - seit vielen Jahren meine Glatze, was nichtmal mein Mariechen weiß!“ - Jetzt schauen alle rings im Kreis, auf ihren Stammtischbruder Frieder. Der schweigt und schlägt die Augen nieder und tut, als säßen hier nur drei und er, er wäre nicht dabei. Doch schon erheben sich Proteste: „He, Frieder, gibt’s auf deiner Weste nicht auch den dicken schwarzen Fleck?“ - „Zu schweigen hat doch keinen Zweck: Du weißt jetzt etwas über jeden, so musst auch du von dir nun reden!“ Dem Frieder wird es heiß und kalt, er muss, das hat er jetzt geschnallt, so seufzt er laut und spricht dann leise: „Mein dunkler Fleck ist dummerweise, dass kein Geheimnis bei mir bleibt! Es ist ein Drängen, das mich treibt, was andre mir vertraulich sagen, sofort im Ort herumzutragen. Es ist ein starker, dumpfer Zwang ... so dauert’s jetzt wohl auch nicht lang!“ Manfred Günther * Wenn sich’s reimen würde, könnte hier auch Vogelsberg oder Westerwald stehen! ** Alle Namen sind frei erfunden! Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 23