Die Geschenkehalde Gedanken zu einer Unart Der Norbert Meier nullte neulich, er ist jetzt Fünfzig, was erfreulich. Und weil er sich nicht lumpen lässt, gab’s abends auch ein Wiegenfest. Hierzu erschienen die Bekannten, die Freunde, Nachbarn, Anverwandten, halt alle die ihm wichtig sind, bis ganz hinab zum Enkelkind. Auch stellten sich die Schulgenossen (worin ich selber eingeschlossen) zum Teil mit Partnern, teils allein zu Norberts Jubelfeier ein. - Gleich zu Beginn, man kann sich’s denken, kommt Gast um Gast mit den Geschenken, und sagt auch brav sein Sprüchlein auf: „Viel Glück im weit’ren Lebenslauf und noch dazu auf allen Wegen auch von ganz oben reichen Segen!“ Dann geben sie ihr Päckchen ab. Der Norbert dankt nun kurz und knapp und gibt die Päckchen und Pakete an seine liebe Frau, die Grete, die baut sie ziemlich achtlos dann zum Turm im Winkel nebenan. Da liegt nun in Papier mit Schleife Kravatte, Schal und Veilchenseife, die Bohrmaschine, das Parfüm ... doch eins wie’s andre anonym und unbeachtet in der Ecke - auf Halde hoch bis an die Decke und bleibt verpackt, als wär’s ein Muss, bis zu der Feier letztem Schluss! - Soweit zum Fest. Was will ich sagen? Zunächst entstehen hier doch Fragen: Warum nur bin ich bis zuletzt als Spürhund durch die Stadt gehetzt? Wofür die Zeit, wieso die Mühe, dass ich noch gestern in der Frühe mit dem Gedanken tief befasst, was nur zu „meinem Norbert“ passt, rund zehn Geschäfte abgefahren? Was ist denn das für ein Gebaren, wenn einer, dem man etwas schenkt, dann überhaupt nicht daran denkt, die Gabe auch sich anzusehen? Selbst wenn die Gäste Schlange stehen, muss dazu doch die Zeit noch sein! Und ist die Gabe auch nur klein, sie wird des Tages Licht nicht scheuen! Sie kommt von Herzen, will erfreuen und kann das nur, ist sie entpackt! Es spricht für Höflichkeit und Takt geschenkten Gaben das zu geben, was sie verdienen: Achtung eben! - Nun wäre ich ein Dichter nicht, wär’ hier zu Ende das Gedicht. Auch spür’ ich innerlich ein Drängen, hier noch ein Schwänzchen anzuhängen: Wir denken uns, es liegt nicht fern, dass künftig Gäste, Damen, Herrn, ihr Päckchen gleich nach „Glück und Segen!“ dann selbst auch in die Ecke legen, was das Verfahren deutlich kürzt! Mein zweiter Vorschlag aber würzt die Sache hoffentlich mit Lachen: Was wäre, wenn wir selber machen, was der Beschenkte unterlässt? Das heißt: Wir kommen auf sein Fest mit nackten, unverpackten Gaben, die wir noch selber an uns haben: Wir tragen also alle Dinge am Leib: Kravatten, Schals und Ringe ... Dann sieht der Blick der Jubilare sofort schon die geschenkte Ware. Auch weiß er später hoffentlich, der ihm das schenkte, das war ich, denn wenn bisher uns etwas störte: Man wusste nicht, zu wem gehörte die Bohrmaschine, das Parfüm ... Nicht länger ist es anonym, wenn wir Papier und Schleife meiden! - Wer - Hand aufs Herz! - kann selber leiden, wenn sein Geschenk „auf Halde“ liegt und so persönlich gar nicht wiegt? So ist nun dies mein Rat am Ende: Befördert selber auch die Wende! Kommt euch der nächste Gast ins Haus, packt seine Gabe bitte aus! Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 22