Das neue Fahrrad Beim Älterwerden ist’s ein Segen, sich regelmäßig zu bewegen. Wozu - das weiß schon jedes Kind - Fahrräder sehr geeignet sind: Sie bringen, wenn wir pedalieren, das Herz vom Trab zum Galoppieren und halten so durch schnellen Lauf des Blutes die Verkalkung auf. Auch bringen sie die Muskeln, Sehnen zum Kontrahieren und zum Dehnen. Das wieder steigert den Verbrauch von Kalorien, was den Bauch schön fest macht, ebenso die Hüften. Auch ist man draußen und kann lüften, hat Sauerstoff und Sonne pur, genießt die Schönheit der Natur, darf dort - und niemand kann’s verwehren - noch fröhlich strampeln und verkehren, wo nie ein Autorad sich dreht und sonst der Mensch per pedes* geht. So weit erst mal das Angenehme. Doch gibt’s beim Radeln auch Probleme: Zum Beispiel, wenn der Weg sich neigt, beziehungsweise, wenn er steigt, dann reicht bei Älteren und Alten, die Kraft nicht aus, den Schwung zu halten mit dem man eine Steigung nimmt und ziegengleich den Berg erklimmt. - Hier drängt sich auf die Überlegung: Gibt’s wohl ein Rad mit Selbstbewegung, das eig’nes Treten unterstützt und helfend unsren Kräften nützt? Jawohl, es gibt! Und zwar schon lange! Mit „tiefem Einstieg“ (ohne Stange!), ein Rad aus Alu, Eisen, Chrom, wie andre auch, nur treibt hier Strom, auf dass die Kraft des Fahrers wachse, den Antrieb in der Vorderachse. Wer also die Pedale tritt, dem hilft das Rad „elektrisch“ mit. Der Akku - die besond’re Masche! - verbirgt sich in der Satteltasche, wo einer, der’s nicht besser weiß, vermutet Eier, Mehl und Reis als den Ertrag von Einkaufsfahrten. Als Extra-Clou hilft dir beim Starten ein kleiner Schub ... bis du in Fahrt. - Mit Rädern eben solcher Art ist für die Frau und mich seit Wochen der „Sport im Alter“ angebrochen. Ich nutze heute dies Gedicht, um einen ersten Kurzbericht aus Praxis und Zusammenleben mit solchen Rädern abzugeben: Das Fahren selbst ist wie ein Traum!** Man gleitet, fliegt und merkt es kaum, wie sich dabei die Muskeln stählen! (Das Maß der Hilfe kann man wählen und wer das will, verzichtet ganz!) - Was andres ist die Akzeptanz, der Menschen, die uns radeln sehen: Zuerst kann keiner gleich verstehen, wodurch der alte Mann so saust (und auch die Frau des Alten braust daher ja wie ein Ungewitter!)? Man zeigt den Akku - dann wird’s bitter: „So, so, ich dacht’ es mir sofort, sie rasen ja von Ort zu Ort wie sonst kein Mann ... in ihrem Alter!“ Und noch ein Spruch, ein ziemlich kalter, war neulich unterwegs zu hör’n (er kann mich freilich nicht mehr stör’n): Es passe zu den „Frühvergreisten“, wenn sie „mit Unterstützung“ reisten und ob das Ding denn „für die Stadt auch eine Einparkhilfe“ hat? - Na ja, das war’n die ersten Tage! Heut’ ist nun eine andre Lage: Wir haben sie aufs Rad gesetzt, die eben grad noch dumm geschwätzt, dort haben sie nach ein zwei Runden stets großen Spaß daran gefunden, wie Strom verstärkt den eig’nen Schwung ... und Spott wich der Begeisterung! Schon manche konnten wir bekehren! Die „frühvergreisten“ Radler mehren seitdem im Ort sich unbeirrt! Inzwischen sind wir schon zu viert und viele wollen noch bestellen. Auch ist ein Club geplant: „Die Schnellen Elektro-Rentner Immerfroh“, die „Stromer-Bande“ oder so, vielleicht auch „Reiter auf den Winden“. Wir werden schon was Schönes finden. Eins jedenfalls steht heut’ schon fest, die Tour de France wird unser Test: Ob’s uns, den frühvergreisten Alten, gelingt, dort radelnd mitzuhalten, wo mörderisch das Rennen tobt - elektrisch zwar, doch ungedoped***!? Manfred Günther * per pedes = zu Fuß ** Ich bekomme keine Provision von irgendeinem Hersteller!!! *** ungedoped - sprich: ungedoopt Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 14