Wo sind sie nur? Gedanken nach einem Blick in den leeren Bundestag Geht’s in Berlin in diesen Tagen im Parlament um ernste Fragen, die für uns alle wichtig sind, dann sieht man - anders wär’ man blind! - kommt der Bericht von dieser Tagung danach als Fernsehübertragung, vielleicht - wenn’s hoch kommt! - hundert Mann im Bundestag! Man fragt sich dann, wo bloß die vielen andern waren? Sind sie zu Aldi kurz gefahren? Steh’n sie wohl rauchend vor dem Haus? Ging’s nur zum Pinkeln mal hinaus, um vom Kaffee sich zu entleeren und bald erfrischt zurückzukehren? Vielleicht, so fragt man sich indes, ist’s auch der übergroße Stress, den unsre „Volksvertreter“ haben? Ob sie sich drum gerade laben an einem Gläschen „Hopfentee“, an einem Häppchen „Stör-Gelee“ und einer Räucherlachs-Terrine in ihrer Bundestagskantine? - Der Zweifel bleibt und ist nicht klein! Das, denk’ ich, kann’s ja wohl nicht sein, denn die da fehlen sind Fünfhundert! Da muss man sagen, es verwundert, wenn Menschen, die wir doch gewählt, auf deren Einsatz man doch zählt, dann im Plenarsaal ständig schwänzen, bei Themen selbst durch Fehlen glänzen, an denen unser Schicksal hängt. - Ich sag’s ganz offen: Mich bedrängt die Frage, was die Leute treiben, wenn sie der Arbeit ferne bleiben, für die man fürstlich sie entlohnt! Es mag ja sein, wir sind’s gewohnt und finden’s ganz normal inzwischen. (Wie anders läuft’s an Arbeitstischen, im Baugewerbe und am Band!) Ich finde jedenfalls, ein Land hat Anspruch drauf, dass die regieren, nicht hin und wieder nur gastieren am Arbeitsplatz: im Parlament! - Nun weiß ja, wer den Menschen kennt, es liegt ihm nicht, sich krummzulegen! Doch so ein bisschen sich zu regen, das stünde Volksvertretern wohl! Die Auskunft jedenfalls klingt hohl: „Der MdB*, Herr Robert Meier, nebst Referentin, Rita Geier, sind unterwegs im Wahlkreis Drei!“ Mir zeigt vor Augen sich dabei ein Bild von Urlaub, Palmen, Stränden ... Da fragt man weiter: Wie verwenden die Leute dann die Ferienzeit: Sechs Wochen voll Gelegenheit, sich zu entspannen und zu reisen? - Oft hört man in Berliner Kreisen, das hohe Amt sei „Zubrot“ nur. Man habe noch die Professur und sei in dreizehn Aufsichtsräten. Da sind die „mickrigen Diäten“ des Monatslohnes kleinster Teil! (So langsam dämmert’s uns, das Heil, das Wohl des Volkes scheint ganz nichtig! Man will verdienen und zwar richtig! Auch in Berlin regiert das Geld!) Ein andrer MdBler hält als Rechtsanwalt sich -zig Klienten. Ein Arzt spricht von Privatpatienten, die er noch nebenbei betreut. Ein vierter Volksvertreter scheut sich nicht, es auf den Punkt zu bringen: Das Parlament, vor allen Dingen, sei ihm der Öffner mancher Tür: Zwar wenig Honorar, dafür bist du der Industrie willkommen, wirst gern im Vorstand aufgenommen und bist im Briefkopf eine Zier! - Das Weitere erspar’ ich mir und euch. Ich bin für heut’ am Ende. Längst überfällig ist die Wende zu echter Volksvertretung hin. Nicht Selbstbedienung waren Sinn und Ziel politischer Mandate! Mehr Transparenz im deutschen Staate, mehr Selbstbeschränkung finanziell! Das ist der dringende Appell an die Regierenden da oben! Das Volk hat euch hinauf gehoben, gewiss nicht, dass ihr dann vergesst, wes Lied ihr singt und Brot ihr esst! Und dann: Das Pflichtgefühl verdoppelt und Tun und Reden rückgekoppelt nach unten, wo das Wahlvolk ist! Auch wäre wichtig, dass ihr’s wisst, euch im Plenarsaal mehr zu zeigen, dass künftig dort die Zahlen steigen, wo sich’s um unsre Zukunft dreht (- nicht nur, wenn’s um Diäten geht!). Manfred Günther * MdB = Mitglied des Bundestags Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 06