Rentnerhatz In unserm Land in diesen Wochen ist eine Treibjagd ausgebrochen. Es geht auf Rehe nicht und Hirsch, auch nicht den Sauen gilt die Pirsch, schon gar nicht Gänsen oder Enten ... Man hat Bezieher kleiner Renten und Pensionäre im Visier. So wurden jüngst im Jagdrevier (sehr kleine) Köder eingegraben: „Die Rentner sollen auch was haben vom Aufschwung, den der Staat erlebt!“ Doch kaum verkündet, schon erhebt sich Neid und Missgunst rings im Lande! „So viel für Rentner? Eine Schande! Legt an ihr Jungen, Kimme ... Korn!“ Als Obertreiber zieht ganz vorn ein echter Herzog ins Gelände und macht die andern scharf: Er fände, den Ruheständlern ging’s zu gut! Sie täten das, was man nicht tut: Sie lebten lang, statt wie gebeten, nach Renteneintritt abzutreten - und das auch noch in Saus und Braus! Sie plünderten die Jungen aus, die darum keine Chancen hätten. - Ihm nach geh’n lange Treiberketten von jungen Leuten aus Partei und Bundestag. Ganz einerlei, wozu politisch sie gehören, sie lassen gerne sich beschwören von denen, die ganz vorne geh’n. Schon kann man Flinten blitzen seh’n, die auf die Rentner ausgerichtet ... Und wenn nicht bald hier einer schlichtet, dann gibt es noch, das geht Ratz Fatz, in Deutschland eine Rentnerhatz! - Als solch ein Schlichter zu fungieren, will heut’ der Dichter selbst probieren, indem er hart dagegen hält und sechs bis sieben Fragen stellt: Und hier ist schon die erste Frage: Ist’s übertrieben, wenn ich sage, dass alles, was ihr heut’ genießt, euch aus der Kraft der Alten fließt, die lange schwer geschuftet haben? Die Frage zwei: Die vielen Gaben, die eure Eltern euch geschenkt ... und dass sie euch dorthin gelenkt, wo ihr heut’ seid ... Habt ihr’s vergessen, und wäre Dank nicht angemessen? Die dritte Frage folgt sogleich: Was macht denn unser Land so reich und ist drum würdig der Bewahrung, ist’s nicht zuallererst Erfahrung, die von den Alten eingebracht? Die Frage vier: Habt ihr bedacht, was dann geschähe, wenn die Alten, sich künftig wirklich so verhalten, wie’s scheinbar eurem Wunsch entspricht? Stellt euch nur vor: Es gäb’ sie nicht, weil Rentner nach Antalya fliehen, vielleicht auch hin nach Kreta ziehen, um dort, wo Alte hoch geehrt (und wo der Euro noch von Wert!), im Sonnenschein gleich Schmetterlingen den Lebensabend zu verbringen? Was meint ihr wohl, was im Gebiet der deutschen Wirtschaft dann geschieht? Die Frage fünf ist mehr persönlich: Wie ist’s denn familiär gewöhnlich? Wer zieht denn oft die Enkel auf? Wer ist denn häufig im Verlauf der langen Kindheit eurer Kinder, Bezugsperson und oft nicht minder der eine Mensch, der immer da ... ist’s Oma nicht und Großpapa? Die sechste Frage spricht vom Sterben: Wer will denn wirklich die beerben, die er im Leben nie geschätzt? Als Schlusspunkt wird noch draufgesetzt die heikelste, die Frage sieben: Wenn Junge nicht die Alten lieben, was, liebe Leute, wird denn dann, wenn heute Junge, Frau und Mann, einst selbst Pension und Rente kriegen und denen auf der Tasche liegen, die heut’ noch nicht geboren sind? Ob die dann auch für alles blind, was eure Kraft für sie geschaffen? - Dass alle Hände einst erschlaffen, Gott sei’s gedankt!, ist nicht nur bloß das unsre, nein, auch euer Los! Lasst darum euer Rentnertreiben und eure Hatz auf Alte bleiben. Es ist die bess’re Strategie, man wirkt zusammen! Halali! Manfred Günther Längs und quer zur Zeit - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 05