Der Wind Eine ziemlich anstößige Sache Es könnte heute leicht passieren, dass sich die Leser echauffieren, wieso ein Dichter im Gedicht den Fall von Pfarrer Kohl* bespricht, der weder irgendwie erquicklich noch dass er schön ist oder schicklich. Auch fragt man sich, ist er’s denn wert, dass irgendwer davon erfährt, er sei denn selbst davon betroffen? - Nach diesem Vorwort will ich hoffen, ihr seid gespannt und int’ressiert, wenn ich, was auch mich selbst geniert, in Vers und Reim vor euch verbreite. - Hier ist des Falles erste Seite: Man sieht, am Mittwoch gegen zehn Frau Bauer* an der Straße steh’n. Dort kommt, so ist es Brauch seit Jahren, Herr Pfarrer Kohl vorbeigefahren und nimmt, weil sie kein Auto hat, Frau Bauer mit, man fährt zur Stadt. Der Pfarrer wird Besuche machen. Frau Bauer kauft sich all die Sachen, die’s leider auf dem Land nicht gibt. Sie freut sich sehr. Frau Bauer liebt die Fahrten jeden Mittwochmorgen. Sie will - wie früh’r mit Fritz - besorgen (Fritz war ihr Fahrer und ihr Mann), was sie im Dorf nicht kaufen kann. Auch ist, was für Frau Bauer wichtig, die Fahrt mit Kohl nicht kostenpflichtig. Und drittens und das tut ihr wohl, sie plaudert gern mit Pfarrer Kohl! Da naht er, hat sie schon gesehen, gleich hält er an und bleibt dann stehen... Doch was ist das, er bremst nicht ab, sie weicht zurück, das war jetzt knapp! Frau Bauer taumelt, kann’s nicht fassen. Hat sie Herr Kohl doch stehen lassen! Sie ist bestürzt. „Was hat er bloß? Was ist mit ihrem Pfarrer los?“ - Ein Satz, mit dem ich überleite zu dieses Falles zweiter Seite: Herr Pfarrer Kohl ist noch nicht alt, doch hat ein Leiden, dergestalt, dass ihn, nach dem Verzehr von Kuchen, Verdauungsgase gern „besuchen“, so dass es drückt und zwickt und zwackt vom Hals bis hin zum Magentrakt, mit peinlich-starkem Drang ins Freie. (Er steht damit in einer Reihe, mit Prominenten, die man kennt und ehrfurchtsvoll beim Namen nennt, zumal sie meistens davon schweigen!) Herr Kohl, schon beim Ins-Auto-Steigen, bemerkt, es ist schon bald soweit... Am Dienstag in der Kaffeezeit, aß er vom Gugelhupf ein Stückchen, nahm vom Kaffee auch drei, vier Schlückchen, was er beim Fahren jetzt bereut. Er weiß, Frau Bauer wartet heut’... es sind auch nur noch hundert Meter... Die große Not macht Kohl zum Beter, doch nützt es nichts. - Das was ihn trifft, stand oben in der Überschrift, ich muss es also hier nicht nennen. Die Folgen wird der Leser kennen (- nicht oben die an Kropf und Hals!). Herr Pfarrer Kohl kann jedenfalls Frau Bauer jetzt, wie soll man’s sagen, in seinem Wagen nicht „vertragen“. Was ist, wenn sie erst bei ihm sitzt und dann auch noch die Nase spitzt? Was soll Frau Bauer von ihm denken? Schon sieht man Kohl die Augen senken und schau’n, als wär’s ihm einerlei, er schaltet hoch und fährt vorbei und tut, als hätt’ er sie vergessen. - Soweit der Fall, der unterdessen nicht nur im Dorf besprochen wird: Kohl sei ein „schlechter Seelenhirt“! Das was er tat sei „unverzeihlich“, sagt der KV** und „ungedeihlich“ sei drum sein Dienst in ihrem Ort. Nun geht Herr Kohl in Kürze fort in eine große Stadtgemeinde. - Was lernen wir? Du schaffst dir Feinde, selbst wenn dein Tun nicht bös’ gemeint. Doch ist nicht alles, wie es scheint! Stets ist es besser, ich vermute zunächst, mein Mitmensch will das Gute! An Kohls Exempel wird es klar, denn eines ist ja sicher wahr: Hätt’ Pfarrer Kohl, statt hochzuschalten, als wenn nichts wäre, angehalten, dann wäre - und das garantiert! - Frau Bauer Schlimmeres passiert! Manfred Günther * Die Namen sind geändert! ** KV = Kirchenvorstand Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 99