Gebissbruch* Schon wieder ist heut’ die Geschichte, die ich im Vers verreimt berichte, so wie von mir erzählt gescheh’n. Jedoch, man wird es wohl versteh’n, ist - nur ganz leicht! - was hier beschrieben, des Witzes wegen übertrieben und etwas anders dargestellt. Doch nur, weil’s dem, der’s liest gefällt, wenn Lacher Wangenmuskeln reizen. So will ich nicht mit Lachern geizen, wenn hier nun, was Karl-Ernst* erlebt des Lesers Laune sicher hebt, was stets mein oberstes Bestreben. - Karl-Ernst führt ein Beamtenleben, ist Lehrer: Mathe und Latein. Er dürfte um die sechzig sein und hat, das muss der Leser wissen, sich Zahn um Zahn schon ausgebissen und so sich im Verlauf der Zeit von eig’nen Zähnen ganz befreit und trägt - was viele selbst auch kennen - ein Ding, das wir Prothese nennen, mit dem er sehr zufrieden...war. Ja, war! Denn grad ein halbes Jahr ist’s her, dass er den Unfall hatte. Er gab in einer Fünften Mathe und aß - trotz striktem Essverbot im Unterricht - ein Krustenbrot, belegt mit Wurst von Metzger Schneider** aus Eichenrod**, in der sich leider ein kleines Knochenstück befand. Das sprengte den Gebissverband beim Schneidezahn am Oberkiefer. Der Schaden unten ging noch tiefer: hier brach ein großes Stück heraus. Karl-Ernst ging vor dem Gong nach Haus und ließ sich tagelang nicht sehen. Doch dann, so kann’s nicht weitergehen, führt ihn sein Weg zu Doktor Mann**, dem Zahnarzt, der ihm helfen kann. Doch fragt Karl-Ernst sich schon daneben, wird auch die Kasse Deckung geben? Denn eins ist sicher und gewiss: Dass er das Brot nicht dienstlich biss, vielmehr, dem Schulgesetz entgegen, privat und nur des Hungers wegen und nicht als Teil des Unterrichts. Da hilft Karl-Ernst wohl alles nichts, das mit der Kasse wird nicht klappen, er muss die Rechnung selbst berappen. - So schreibt er also den Verlauf des Unfalls treu der Wahrheit auf und sendet ihn an seine Kasse. Es dauert. (Scheinbar ist die Masse zerbrochener Gebisse groß!) Dann schreibt ihm Henriette Kloß, Abteilung „Brüche von Prothesen“: „So etwas ist nie da gewesen - und dass in dieser bösen Zeit: die Liebe zur Wahrhaftigkeit, mit der Sie Ihren Fall berichtet! Nichts ist erfunden, nichts erdichtet, so wie’s ansonsten oft geschieht. Was wird doch grad in dem Gebiet ‘Prothesenbruch’ so viel gelogen: Ein Zahn hat sich von selbst verbogen. Das, was man biss, war Pudding nur! Es war nach vierundzwanzig Uhr, da kam vom Nachtschrank so ein Klingen, als würde Porzellan zerspringen... Die Zähne waren’s, die doch grad still schwammen im Corega-Bad! Und was die Leute sonst noch lügen, um ihre Kasse zu betrügen. Wie ist dagegen Ihr Bericht so ehrlich, denn Sie lügen nicht, wohl wissend, dass Sie so nichts kriegen und falls Sie klagen, unterliegen. - Ich gab ihn weiter, Ihren Brief! Er rührte die Kollegen tief, nicht wenige, die leise weinten und schon am Tag zu träumen meinten. Der Chef der Kasse hat gedacht, dass man auch eine Sammlung macht als Ausgleich Ihrer Zahnarztkosten. Anbei der Scheck für diesen Posten! Den neuen Zähnen gute Zeit und Dank für Ihre Ehrlichkeit!“ - Und die Moral? Bricht was beim Beißen, sollt Ihr die Kassen nicht betrügen! Drum schaut, wenn ihr den Fall beschreibt, dass Wahrheit auch die Wahrheit bleibt! Denn immerhin im andern Falle bezahlen eure Zeche - alle! (Was für Prothesenträger heißt, dass ihr auf fremden Zähnen beißt!) Manfred Günther * Das Gedicht entstand nach der Lektüre einer Statistik über Versicherungsbetrug ** Alle Namen sind erfunden bzw. reimtechnisch bedingt Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 95