Der Säckchenkalender Karl-Friedrich ahnungslos im Advent Wer kennt sie nicht: Adventskalender!? Einst war’n nur Kinder die Verwender, die im Advent zwei Dutzend Mal beim Türchen-Öffnungs-Ritual am Morgen dort ein Bildchen fanden. Im Lauf der Jahre dann entstanden Kalender, die zwar ähnlich breit, doch dicker wurden mit der Zeit... Warum? Weil hinter ihren Türchen statt Bilder winzige Figürchen glasierter Schokolade sind. Der Sinn ist klar: Man will das Kind mit Süßem bis zum Fest begleiten. Doch wieder wandeln sich die Zeiten und die Adventskalender auch: War einst der Kauf normaler Brauch, geht heut’ der Trend zum Selbermachen! Die Türchen führ’n zu andern Sachen als Schokoladenstückchen nur. Oft sind’s auch Säckchen, mittels Schnur am ob’ren Ende zugebunden. Der früh’re Brauch ist fast verschwunden, man schenkt sie heute Klein und Groß und nicht nur Kindern, Enkeln bloß. - Hier wird Konkretes jetzt verdichtet: Karl-Friedrich Dietz* hat mir berichtet, was ihm Frau Hilde* letztes Jahr (so rätselhaft und sonderbar, dass ihm der Sinn sich nicht enthüllte) in die Kalendersäckchen füllte. - Uns füllt’s das weitere Gedicht, wobei Karl-Friedrich selber spricht: „Das Säckchen eins schon ließ mich fragen, was will mir meine Hilde sagen? Denn drinnen lag ein Bild von ihr und nebendran noch eins von mir, dazu ein Streichholz und vier Kerzen. In Säckchen zwei, zwei rote Herzen verbunden durch ein weißes Band, auf dem ich diese Aufschrift fand: ‘Kein Streit, nur Freundlichkeit und Frieden und jedes böse Wort vermieden!’ Im dritten Säckchen war nichts drin als nur ein Bild der Nachbarin. Sehr seltsam war’s, denn man muss wissen, dass die Beziehung abgerissen. Wir grüßen uns schon lang nicht mehr! Auch Säckchen vier erstaunte sehr: Drin waren vierzehn Einlasskarten, gebrauchte, alte, aller Arten, zum Beispiel zwei fürs Opernhaus. Nun geh’n wir lang schon nicht mehr aus, ich mag es häuslicher, privater und hasse Oper und Theater! Im Säckchen fünf war ein Gerät als Bild, mit dem man Rasen mäht. Auch das für mich ganz unverständlich. Der Garten gilt bei uns als ‘ländlich’ und liegt komplett in Hildes Hand, denn sie, nicht ich, stammt ja vom Land! Als weit’re Säckchen aus der Reihe, noch Nummer elf und zwölf: Die zweie enthielten je ein Reiseziel, das meiner Hilde wohl gefiel, mit Anfahrt, Zimmerplan und Preisen. Doch weil wir lang nicht mehr verreisen, begriff ich keinen Sinn, auch hier. So konnte der Kalender mir mit seinen Säckchen nicht gefallen! Nicht ein Stück Süßes gab’s in allen! Das zum Advent! - Gleich bin ich still. Versteh’ die Frauen, wer nur will!“ - Zum Schluss, ihr Leser, Leserinnen! Kommt ihr nach einigem Besinnen wohl doch darauf, was eine denkt, die ihrem Gatten sowas schenkt? Manfred Günther * Die Namen sind frei gewählt. Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 87