Pfarrerklage Warum kommt unsre Predigt nicht mehr an? Der Dichter ist heut’ selbst betroffen, doch spricht er trotzdem hier ganz offen von dem, was nicht nur er beklagt und was der Verse Titel fragt: Wie kommt’s, dass Pfarrer, Pfarrerinnen, die Menschen nur so schwer gewinnen für Kirche und für Gottes Wort? Warum bleibt man am Sonntag fort, wenn laut vom Turm die Glocken klingen? Wenn Trauung und Bestattung zwingen, dann folgt man noch der Glocken Klang und geht den sonst so schweren Gang, besonders wo die Kirche ländlich, wie man’s gewohnt, ganz selbstverständlich - nur sonntags eben geht man nicht. - Die Verse heute woll’n ein Licht, das hier erhellen kann, entzünden. - Um das Geheimnis zu ergründen, geh’n wir, es muss nun einmal sein, in einen Gottesdienst hinein, der just von Pfarrer Keim* gehalten. Wir seh’n, dass Junge und die Alten ganz hinten hocken, also weit entfernt von Keim, der grad zur Zeit sich für die Kanzelrede rüstet. Man weiß von ihm, dass er sich brüstet, er nehme nie ein Blatt vorn Mund... und das gerade scheint der Grund, warum die Leute hinten sitzen: Wenn Kanzelworte donnern, blitzen, dann weilt man gerne, wo’s nicht stört und man den Donner nicht so hört. Und zieh’n die Leute heimwärts schließlich, spricht mancher „Hörer“ dann verdrießlich: „Mir geht das gegen die Natur! Der Pfarrer Keim, der schimpft ja nur!“ So scheint’s berechtigt, wenn ich sage, als Antwort auf die Titelfrage - in einem Satz nur, kurz und knapp: Die harte Predigt schreckt nur ab! - Stimmt dieser Satz? Wir wollen sehen und jetzt zu Pfarrer Meier* gehen, ein kleiner Mann mit dickem Bauch. Er gilt als sanft, gemütlich auch, ein Meister schöner Säuselworte. Als Redner von ganz andrer Sorte als Keim in seiner Nachbarschaft. Spricht dieser laut, mit voller Kraft, so jener auf ganz zarte Weise: oft stockend, vorsichtig und leise. - Wenn Meier jetzt zur Kanzel eilt, sitzt seine Hörerschaft verteilt und nicht nur in den letzten Reihen. Von ihm kommt niemals lautes Schreien, kein Donnern, keine Schimpferei. So ist es hier auch einerlei, wo einer sitzt, denn predigt Meier, hört eh kein Mensch auf sein Geleier und mancher gönnt sich etwas Ruh’, neigt seinen Kopf und schnarcht dazu. Und geh’n sie schließlich heim die Leute, dann heißt’s: „Es war wie immer heute! Mir geht das gegen die Natur! Mich langweilt Pfarrer Meier nur!“ So scheint’s berechtigt, wenn ich sage, als Antwort auf die Titelfrage - in einem Satz nur, kurz und knapp: Die sanfte Predigt schreckt nur ab! - Nun fragt man sich, wie ist’s denn richtig? Sind Predigtworte denn nicht wichtig, gerade jetzt in dieser Zeit? Gibt’s wirklich keine Möglichkeit, die Leute heute zu erreichen? (Soll wohl ein Pfarrer Gottschalk gleichen, indem er sagt, was nur gefällt? Ist Gottes Wort von dieser Welt, dass wir’s verschönen und frisieren? Geht’s drum, es so zu präsentieren wie eine Samstagabend-Schau?) Ein Anfang wär’s, wenn Mann und Frau in Zukunft neu und ehrlich fragen: Was will ein Predigtwort mir sagen, hör’ ich nur wieder richtig hin? In seiner Tiefe liegt der Sinn, und nicht in äußerlichen Sachen, wie Pfarrer sie beim Reden machen. Ich sag’s am Ende kurz und knapp: Das Wort an sich schreckt niemals ab! Manfred Günther * Die Namen sind frei erfunden! Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 85 Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 85