Kirchgang (Teil 2) Werner fehlt im Gottesdienst Nach Kirchgang mehr im Allgemeinen, geht’s heute ganz konkret um einen: Er lebt im Dorf, nah bei der Stadt, das eine Fachwerkkirche hat. Der gute Mann heißt Werner Finten*, sitzt in der vierten Bank von hinten, dort wo die dicke Säule steht, sodass wer in die Reihe geht, sich dünn macht, anders will’s nicht glücken, sich in die Bank hineinzudrücken. Dort jedenfalls mit frommem Sinn sitzt sonntags Werner mittendrin... ...das heißt, er saß! Seit gut fünf Wochen ist Werners Kirchgang abgebrochen, er sitzt nicht mehr in seiner Bank. Schon mancher fragte: Ist er krank? Hat er wohl Urlaub. Glaubenskrise? Der Kirchendiener Gustav Wiese*, vermutet gar, er wäre tot! Doch Kirchenrechner Hans-Karl Groth* sagt: „Nein, ich habe ihn gesehen! Er scheint gesund und kann auch gehen und sieht ganz so wie immer aus. Die Ehe stimmt, in seinem Haus herrscht Wohlstand, Harmonie und Frieden. Ihm selbst ist manches Glück beschieden: drei Töchter, Enkelkinder zwei...“ Inzwischen hat auch Pfarrer Frey* bemerkt, die vierte Bank von hinten bleibt sonntags leer, weil Werner Finten schon lang den Gottesdienst verpasst. Trägt er wohl schwer an einer Last der Sünde, will deshalb nicht kommen, um fröhlich mit den andern Frommen bei Lied und Beten mitzutun? Zieht er es vor, sich auszuruh’n, wie andre auch am Sonntagmorgen? - Man weiß zwar nichts, doch macht sich Sorgen (gut biblisch!) um das eine Schaf, das, wie man denkt, ein Unglück traf, vielleicht auch, dass es sich verirrte? Besonders Frey, der Seelenhirte, verspürt im Herzen drin schon lang den Antrieb, ja, den starken Drang, so wie es biblisch ihm empfohlen, das eine Schaf zurückzuholen, das, wie er meint, gewiss ganz tief in Schuld und Zweifeln sich verlief. So also sieht Herr Frey, der Perner, heut’ nach dem „Schaf“ mit Namen „Werner“... Hier lest ihr, was ihm Werner sagt: „Ich hab’, dem Himmel sei’s geklagt, in letzter Zeit an manchen Tagen am Tisch recht kräftig zugeschlagen, so sind die Hüften und der Bauch und Stellen weiter hinten auch ein wenig dick und drall geworden. Die Teile, die jetzt überborden, die halten nun den freien Lauf am Sonntag in der Kirche auf. So will und will es nicht gelingen, in meine Reihe vorzudringen, weil dort die dicke Säule hemmt und mir den Bauch, die Hüfte klemmt und hindert, mich hindurchzuzwängen und bis auf meinen Platz zu drängen. Das ist, Herr Pfarrer, mein Problem, das ganz und gar nicht angenehm, denn gerne käme ich auch weiter!“ - Die Leser, denk’ ich, finden’s heiter und manchen sicher gibt’s, der fragt: Was hat der Pfarrer denn gesagt und was als Lösung vorgeschlagen? Erlaubt mir jetzt, zurückzufragen: Was hättet ihr denn wohl gedacht, was Werner jetzt am besten macht? Ach ja, ihr müsst nicht überlegen, er soll der dicken Säule wegen, den Platz sich wählen, den ein Mann mit dickem Bauch erreichen kann, denn piepegal sind doch die Plätze, auf die ich mich beim Kirchgang setze? - Glaubt ihr das selbst, ich glaub’ es nicht, weil eure Praxis anders spricht. Was wäre denn, ihr Damen, Herren, wenn sie euch eure Reihe sperren? Sucht ihr euch wirklich als Ersatz halt irgendeinen andern Platz??? Manfred Günther * Alle Namen sind frei erfunden! Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 82