Die Fahrt nach Rom Beginn einer Pilgerreise Der Mensch in seinen Lebensjahren plant einmal auch nach Rom zu fahren, um dort vielleicht den Papst zu seh’n, sich in Museen zu ergeh’n, in deren hohen Wandelgängen die Bilder großer Maler hängen, mit religiösen Themen meist, was Glaube, Liebe, Hoffnung speist und Menschen hilft, wenn sie beginnen, sich auf die Seele zu besinnen. Auch wird, wenn einer kirchlich ist und noch dazu ein frommer Christ, in Rom das geistliche Verlangen gestillt, sodass wir das empfangen, was tief bewegt, erfüllt und leicht dann für den Rest des Lebens reicht. - So war’s auch bei Kristin und Hulda* zwei gute Freundinnen aus Fulda*, als sie - was beide lang gesucht - die „Pilgerfahrt nach Rom“ gebucht, mit Bus, bei „Südeuropa-Reisen“. Die beiden sind aus höh’ren Kreisen und sehen auch genauso aus. - Ein Kind vom Land ist Müllers Klaus aus Eichenzell in Fuldas Süden. Nach Erntetagen, die ermüden (der Raps ist endlich eingebracht!), hat Klaus erschöpft bei sich gedacht, die Tour nach Rom könnt’ ihm gefallen. - Jetzt steh’n sie mit den andern allen und warten auf den Reisebus. Den Damen macht der Klaus Verdruss: er zählt für sie zu den Proleten! So einer will in Rom nicht beten! Sein Interesse an der Fahrt, ist ganz gewiss von andrer Art, das sieht man gleich an seinen Blicken. Doch soll er andere bestricken, sie stehen nicht auf Kuhstallduft, für sie ist dieser Bauer Luft! Nicht ihre Liga, standesmäßig! - Dann auf der Fahrt sitzt schwergesäßig der Klaus am Gang in Reihe drei, gleich nebenan der Platz der zwei, es trennen sie wohl kaum zwei Ellen! Schon eilt sich Klaus, sich vorzustellen: „Ich heiße Klaus, bin hier aus Fulda!“ Es schweigt Kristin, es schweigt auch Hulda, es scheint, man will sich nicht bequemen, den Bauern auch nur wahrzunehmen. Man tut, als ob man ihn nicht hört. Was diesen aber wenig stört, er kennt das ja von seinen Tieren, den Schweinen, Kühen und den Stieren, er ist die Schweigsamkeit gewöhnt, und auch mit Ignoranz versöhnt, so bleibt er freundlich, lächelt heiter und spricht ganz unverdrossen weiter: „Ich fahr’ zum ersten Mal nach Rom! Mich int’ressiert der große Dom und wie die Römer heute leben.“ Bei Hulda zeigt ein Nasenbeben, sie wünscht den Bauern sonstwohin! Kristin erwägt in ihrem Sinn, in eine Ohnmacht zu versinken. Der Bauersmann zu ihrer Linken stört in der ersten Stunde schon die religiöse Intention** und Wirkung der Italienreise und das auf ziemlich plumpe Weise. Denn sollte nicht die Pilgertour Kristin und Hulda einmal nur zur Andacht und Besinnung dienen? Der Bauer aber trübt bei ihnen durch sein Geschwätz den frommen Sinn! Die inn’re Ruhe ist dahin, verflogen sind sie, die Gedanken, die sich um Glauben, Hoffnung ranken, um Freundlichkeit und Einigkeit und Treue in der Christenheit. Gestört der Vorsatz, durch Vertrauen im Herzen Mauern abzubauen, dass echte Solidarität nicht in Vergessenheit gerät und Güte, Liebe nicht erkalten. Wie soll sich Menschlichkeit entfalten, und Wärme zwischen mir und dir, sitzt Klaus aus Fulda neben mir? - Wie’s weiterging? Man kann sich’s denken! Wenn Vorurteile Menschen lenken, dann stellt sich keine Andacht ein. Besinnung kann nur fruchtbar sein, wenn wir, worauf wir uns besinnen, konkret im Leben auch beginnen. Wer, wie er immer war, bewahrt, dem hilft auch keine Pilgerfahrt! Manfred Günther * Namen und Orte des Reimes wegen gewählt ** Intention = Absicht, Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 69