Reservierungen (Teil 2) ...bald auch in der Kirche! Der Karl hat jüngst davon berichtet (ich habe den Bericht verdichtet), wie tief, grad wenn du Deutscher bist, der Drang in dir verankert ist, das „Liegestühle reservieren“ als Breitensport zu zelebrieren, wobei ein Badehandtuch meist: „Der Liegestuhl ist meiner!“ heißt, wodurch wir diesen Kranken, Alten, um sich zu legen, vorenthalten, was uns als Deutsche wenig ziert und Vorurteile zementiert. Da wär’ es gut, wir Deutschen hätten, auch noch ganz andre Trainingsstätten für unsern Reservierungs-Sport als nur das Bad in unserm Ort. - Nun hat mir Fritz aus Bonn geschrieben: Wenn Deutsche Reservierung lieben (und glaubt man Karl, scheint’s so zu sein), dann lade er die Kirchen ein, den Reservierungsdrang zu nutzen, mit ihm den Kirchgang aufzuputzen! Das wäre nämlich ziemlich leicht und wird im Handumdreh’n erreicht, braucht keine lange Vorbereitung, nur einen Hinweis in der Zeitung und wenn die Kirche sowas hat im kirchlichen Gemeindeblatt, vielleicht auch auf Plakat und Karten. Am Sonntag drauf schon kann man starten... Doch lest, wenn Fritz nun selbst erklärt, wie man dann weiterhin verfährt: “Am Sonntag wird in Herrgottsfrühe (der Küster macht sich gern die Mühe!) die Kirchentüre aufgetan. Die Gläubigen - gelingt der Plan! - sind schon in Mengen angetreten. Sie tragen, wie zuvor erbeten, vierfach gefaltet ganz adrett ein Badetuch in violett, um hier und das mit höchstem Segen, schon einen Stuhl sich zu belegen, damit sie später gegen zehn, nicht vor besetzten Plätzen steh’n. Ist das gescheh’n, gibt’s eine Pause. Die Leute geh’n nochmal nach Hause und kehren erst mit frommem Sinn ganz kurz vor Gottesdienstbeginn zurück (man muss sich ja nicht hetzen!), um dort sich auf ihr Tuch zu setzen, wo sie vorhin den Stuhl belegt. Dann folgt man innerlich bewegt und im Bewusstsein, gut zu sitzen, der Feier und den Geistes-Blitzen, wie sie der Prediger versprüht. Und rührt die Predigt ans Gemüt, dass einer schnieft und Tränen kommen, dann wird das Handtuch hergenommen, getupft, gewischt, bis ganz geschwind die Augen wieder trocken sind. Und sollte mal bei „Lobt den Herren“ die Heiserkeit die Stimme sperren, tut man das Tuch sich um den Hals, bis sich das Stimmband (bestenfalls!) dann wieder löst zum frohen Singen! Am Schluss, wenn Wort und Lied verklingen, nimmt jeder dann sein Liederbuch, ergreift sein violettes Tuch ums vierfach wieder einzufalten. Am Ausgang ist kurz anzuhalten... (Der Teller dort ist nicht bestimmt, dass sich hier jeder etwas nimmt, vielmehr dazu, was einzulegen!) Wenn sie sich nun nach Haus bewegen, wird allen eines sicher klar: Das Reservier’n hat offenbar - wer könnte es denn noch bestreiten? - im Raum der Kirche gute Seiten: Die Kirchen werden - das ist toll! - in Kürze wieder proppenvoll, auch steigen Spenden und Kollekten! Die Christen, die sich früh’r versteckten, erscheinen nun auch öffentlich!“ - Soweit der Fritz, wir zieh’n den Strich und bringen das Gedicht zu Ende. Wir stehen kirchlich vor der Wende! Ich seh’ sie schon, die neue Zeit, den Aufbruch in der Christenheit, mit Kirchgang jeden Sonntagmorgen. Um Kirche hab’ ich keine Sorgen... doch etwas andres macht mir Not: Dass bald ein Handtuch-Engpass droht, besonders bei den violetten! (Doch selbst wenn wir nur weiße hätten, wird keiner beim Zur-Kirche-Geh’n, dort vor verschloss’nen Türen steh’n!) Manfred Günther Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 65