Der Pfarrer geht... Traktat über den Abschied - stark moralinhaltig! Vor Ostern hält Herr Pfarrer Meier* den Gottesdienst zur Abschiedsfeier. Es ist recht voll, es war bekannt: Herr Meier geht in Ruhestand. Noch einmal schärft er seinen Schafen (die einen weinen, andre schlafen) der Bibel gute Botschaft ein. Danach befiehlt er Groß und Klein mit feuchtem Blick in Gottes Hände. Ein Amen noch, dann ist zu Ende des Pfarrers Dienst nach langer Zeit. Im Kirchsaal steht Kaffee bereit mit Eierweck und Sahneschnitten... und die Gemeinde lässt sich bitten: Der Ortsvorsteher Hinz ist da, (den Meier früh’r noch niemals sah!), die Kleinen aus der „Kinderstunde“, die Damen von der „Frauenrunde“, Posaunenkreis und Männerchor und alle tragen etwas vor: Gedichte, Lieder, was zum Lachen... Nach gut zwei Stunden schließlich machen sich alle auf und geh’n nach Haus. Nur eine harrt noch länger aus, die Erna aus der Obergasse. Sie hoffte, dass sie Meier fasse, wenn jetzt die Masse sich verlief. Nun ist’s soweit. Sie atmet tief, dann steht sie auf, ihm was zu sagen und das zum Abschied ihm zu klagen, was sie bewegt im Herzensgrund. Schon kommt es nun aus ihrem Mund: „Wie schade, dass sie von uns gehen! Der Nächste kann, das wird man sehen, gewiss so gut wie sie nicht sein!“ Bei Meier stellt sich Rührung ein, denn solche Worte mag man hören, weil sie die Eitelkeit betören! Er ist den Tränen nah und spricht, wobei ihm fast die Stimme bricht: „Wie tut das gut, was ich da höre! Doch glauben Sie mir, was ich schwöre: Der Nächste, der wird sicherlich noch sehr viel besser sein als ich!“ Lang steh’n sie stumm und beide schweigen. „Das wird“, meint Erna dann, „sich zeigen! Doch glaube ich davon kein Wort! Denn so war’s immer hier im Ort: Der Pfarrer schied, gab sein Versprechen und schwor, er würde es nicht brechen: Der Nächste wäre wunderbar! Herr Meier, auch bei Ihnen war es seinerzeit, als sie begonnen, und wir als Pastor Sie gewonnen, nicht anders. Der Herr Pfarrer Bing, der als Sie kamen von uns ging, beschwor beim Abschied auch von Ihnen, Sie würden höchstes Lob verdienen. Doch dann, Herr Meier, kamen Sie!“ - Zum Schluss das Fazit: Glaube nie, was Menschen in den Abschiedstagen an Gutem, Schlechtem von dir sagen. Beim Scheiden Tadel oder Lob ist als Bewertung viel zu grob, es geht ja meist um viele Jahre. Du kamst in blond, hast graue Haare, dann wenn du gehst, doch wird die Zeit dazwischen schnell zur Kleinigkeit. Die viele Arbeit ist vergessen. Der kleine Fehler hat indessen ein zehnmal größeres Gewicht. Dein guter Dienst kommt aus der Sicht, gibt’s irgendwo den kleinsten Schatten. Der Ärger, den die Leute hatten, wiegt mehr als all dein gutes Tun. - Was sagt uns das am Ende nun?: Man lasse Eitelkeit vermissen und achte nur auf sein Gewissen, dann wenn wir kommen, bis wir geh’n! Wir müssen vor uns selbst besteh’n! Manfred Günther * Eigennamen sind erfunden Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 59