Invokavit* Eine Predigt bleibt nicht ohne Wirkung In Predigten der Fastenwochen wird in den Kirchen angesprochen, was bei den Christen übers Jahr (und grad an Fasching!) sündig war. So hält es auch Herr Pfarrer Grote, aus Grebenau**. Die Zehn Gebote sind Thema heute und er spricht ganz unverblümt und scheut sich nicht der Schäfchen Seelen zu massieren, so dass sie ihren Stolz verlieren, sich dreimal schlagen an die Brust und reuig sind und schuldbewusst. - Wir geh’n hinein ins echte Leben: Herr Pfarrer Grote liest soeben der Zehn Gebote siebtes vor. Die Predigthörer sind ganz Ohr, besonders Fritz scheint sehr betroffen. Ihm stehen Mund und Augen offen. Der Pfarrer sieht’s: Fritz wirkt verstört, als er „Du sollst nicht stehlen!“ hört. Dann schlägt er kurz die Augen nieder, berappelt sich und fasst sich wieder. Verstohlen prüfend schaut er dann, die Nachbarn in den Bänken an: Den Kneipenwirt vom „Gold’nen Eber“, die Bäckersfrau Sieglinde Weber, die Konfirmanden Ralf und Lutz und Emma Kunz im Sonntagsputz. Jetzt sieht man Fritz beim Überlegen verneinend leicht den Kopf bewegen... Schon holt die Predigt ihn zurück mit der Gebote nächstem Stück: Laut tönt’s: „Du sollst nicht ehebrechen!“ Der Pfarrer schreit es fast beim Sprechen, womit er manchen Hörer bannt! Nur unser Fritz wirkt jetzt entspannt und so als würde ihm von allen am besten dies Gebot gefallen - und Grote hat es registriert. Weil ihn die Sache int’ressiert, und weil die Sorge für die Seelen, der Menschen, wenn sie sich verfehlen und Reue an den Herzen frisst, doch eines Pfarrers Auftrag ist, tritt er nach Schlussgebet und Segen dem Fritz im Mittelgang entgegen, begrüßt ihn, gibt die Hand und sagt: „Ich hätte gern etwas gefragt, doch nur sofern Sie nicht in Eile!“ „Zum Essen währt’s noch eine Weile“, meint jetzt der Fritz, „ich habe Zeit und bin zur Antwort gern bereit, so fragen Sie, Herr Pfarrer Grote!“ Und Grote fragt: „Zwei der Gebote, die in der Predigt ich besprach, die wirkten deutlich sichtbar nach, doch nicht bei allen, nur bei Ihnen!“ „Da kann ich gut mit Antwort dienen“, entgegnet Fritz. „Bei dem Gebot, das, wenn wir stehlen, uns bedroht, sah ich mich um; mein Schirm, mein neuer, mit Automatik und sehr teuer, war plötzlich nirgends mehr zu seh’n. Drauf ließ ich meine Blicke geh’n entlang den Leuten und den Bänken. Ich geb’ es zu, ich musste denken, dass eine, einer aus dem Saal mich hier im Gottesdienst bestahl und das auch noch, wenn Sie, Herr Grote, uns predigen die Zehn Gebote... Dann aber kam das sechste dran: Du sollst, so mahnt es Frau und Mann, dich beugen unter Gottes Walten, die Ehe hoch und heilig halten, sie nicht, so ist es Gottes Spruch, entweihen durch den Ehebruch... Und da, genau an dieser Stelle, kam der Erkenntnis warme Welle: Den Schirm, Herr Pfarrer, nahm kein Dieb! Ich weiß jetzt, wo er stehenblieb!“ Manfred Günther * Invokavit = 1. Sonntag der Passionszeit ** Orts- und Eigennamen geändert Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 58