Kein Wort! Eine klare Aufforderung zum Weitersagen! Mir ist da etwas aufgefallen. Man hört sehr oft, ja, fast von allen: „Sag’ aber weder hier noch dort, von dem, was du jetzt hörst, ein Wort!“ Dann heißt es noch: „Ich musst’ versprechen, mein Schweigen nirgendwo zu brechen!“ Schon kann es sein, dass man sich fragt, warum dann kriege ich’s gesagt, was doch kein andrer wissen sollte, zumal ich’s gar nicht wissen wollte! Wenn dann ein zweiter dir entdeckt, was grad der erste dir gesteckt und dann noch weit’re mit der gleichen „geheimen“ Botschaft dich erreichen und alle hängen hinten an, dass „man es dir ja sagen kann, dir unter tausend Männern, Frauen alleine könne man vertrauen...“, dann freilich fällt dir’s langsam auf: Das ist der ganz normale Lauf, wenn wer zum Tratsch sich an dich wendet! Noch die geringste Botschaft endet mit etwas wie: „Sag’s aber nicht!“ Wobei oft Dinge von Gewicht auf solche Bitte ganz verzichten. Anstatt zum Schweigen zu verpflichten, geht’s da erstaunlich lässig zu. Am Ende - und das ist der Clou! - erscheint oft Kleines groß und wichtig, sehr Großes aber klein und nichtig - was die verborg’ne Absicht war! Das andere ist auch ganz klar: Je mehr die Menschen uns beschwören: „Lass aber keinen davon hören!“, je mehr wächst dazu unsre Lust! Das, was du nicht verschweigen musst, weckt Desint’resse und das Zaudern, es irgendjemand auszuplaudern! - Wir spüren jetzt, hier scheint die Welt gehörig auf den Kopf gestellt: „Kein Wort!“, ist eigentlich das Zeichen, den Bruch des Schweigens zu erreichen. Wird dir zu reden nicht verwehrt, dann - sei gewiss! - ist’s umgekehrt! - Soweit, so gut. Nun wird man fragen: Ist’s zu begrüßen, zu beklagen und gilt das denn in jedem Fall in Stadt und Land und überall? Zum ersten hab’ ich klar die Meinung, es ist ganz einfach Zeiterscheinung und ganz egal ob schlecht ob gut. Und dann: Wenn’s doch fast jeder tut, dann hat’s fast jeder auch in Händen, zum eig’nen Nutzen anzuwenden (und bitte schön, er tut’s ja auch!). Auch scheint’s unmöglich, diesen Brauch, in Zukunft ganz zu unterdrücken! Es kann den Schwätzer hoch beglücken, wenn der, auch wo du nicht gefragt, dir etwas „streng Geheimes“ sagt, es dient ihm als des Lebens Würze! - Zum zweiten noch in aller Kürze: Gibt’s so etwas in Stadt und Land? Jawohl! Der Brauch ist wie ein Band, mit dem sich alle gern verbinden: In Höckersdorf, in Schlitz und Linden, in Frankfurt, Hamburg, Ulrichstein, der Karl, die Frieda, Ruth und Hein..., sie alle hängen ihren Sätzen „Kein Wort zu andern!“ an beim Schwätzen. Und ganz genauso geht es mir und auch, da bin ich sicher, dir! Manfred Günther Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 54