Advent 4 Alle Jahre wieder: die Betriebsweihnachtsfeier Ich geh’ den Weg heut’, den bequemen und darf im Reim das übernehmen, wovon mir Heinz aus Grünberg* schreibt. Was hier geschrieben steht, das bleibt sehr eng bei dem, was Heinz berichtet! Es ist von mir halt nur verdichtet, dass jede Frau und jeder Mann es hier in Versen lesen kann, weil Leser, so ist’s stets gewesen, Gereimtes sehr viel lieber lesen (besonders wenn es Dinge nennt, in denen man sich selbst erkennt!). - Hört also hier, was Heinz geschrieben: „Auch dieses Jahr, weil’s alle lieben, gab’s letzte Woche einmal mehr, genauso wie im Jahr vorher, bei ‘Import-Export Robert Maier’* die Mitarbeiter-Weihnachtsfeier, zu der, ist man zum Fest vereint, der alte Maier selbst erscheint, um alle einzeln mit Geschenken und einem Umschlag zu bedenken, in dem ein Weihnachtskärtchen ist. Jedoch - ist’s Zeitnot oder List? - es hilft kein Drängen und kein Fragen, Herr Maier will vorher nicht sagen, wann er genau das Fest beehrt und jedem sein Geschenk beschert. Er möchte, sagt er,‘überraschen’. Aus diesem Grunde bleiben Flaschen mit Hochprozentigem tabu, doch nur solang’, das ist der Clou, bis Maier endlich da gewesen. So wartet man am Tisch, am Tresen, trinkt Selters und Orangensaft und bleibt dabei ganz tugendhaft, bis Meier, von der Frau begleitet, als Weihnachtsmann die Tür durchschreitet mit ‘Ho-ho-ho!’ und einem Sack auf seinem Rücken huckepack. Meist im Verlauf der zweiten Stunde tönt dann im Saal die frohe Kunde: Der Maier kommt, benehmt euch bloß, dann sind wir ihn bald wieder los! Und wirklich: Nichts verlockt den Alten, sich gar zu lange aufzuhalten. Die Schenkerei läuft im Akkord und bald schon ist er wieder fort und endlich, endlich wird es heiter, denn jetzt geht’s alkoholisch weiter und mancher, der bisher verklemmt, wirkt plötzlich lustig und enthemmt... auch bilden sich gemischte Paare... So jedenfalls war’s all die Jahre! Ganz anders ging’s in diesem Jahr. Nach gut zwei Stunden schien es klar: Der Maier wird nun nicht mehr kommen! Hat er sich andres vorgenommen? Ist er, ist seine Frau wohl krank? Man tauschte den Orangentrank, mit Whisky, Wodka, Sekt und Bieren... Vorbei die Hemmung und das Zieren: Die Susi aus dem ersten Stock tanzt auf dem Tresen Kasatschok**, indes die Paare an den Tischen sich nach und nach ganz anders mischen, man küsst - sogar mit Augen zu! Die Putzfrau Babs ist schon per Du mit Rüdiger, dem Prokuristen. Nach weiteren Minutenfristen, erklingt Gesang, im Festsaal schallt das Lied vom ‘schönen Westerwald’, noch jedes Jahr das sich’re Zeichen, dass wir den Siedepunkt erreichen, an dem so mancher dann vergisst, wie er denn heißt und wer er ist... Doch ganz genau zu dieser Stunde gab’s eine böse Schrecksekunde: Die Tür geht auf mit ‘Ho-ho-ho!’, Herr Maier kommt und staunt nur so, denn so was hat er nie gesehen: Kaum einer kann noch richtig stehen, man lallt und niemand wirkt mehr frisch. Fünf Pärchen liegen unterm Tisch zum Teil in zärtlicher Umarmung. Der Prokurist sucht auch Erwarmung, er hat die Putzfrau auf dem Schoß... - Was sind denn das für Leute bloß, so fragt sich fassungslos Herr Maier, ist das denn ‘meine’ Weihnachtsfeier?“ Der Heinz aus Grünberg ist am Schluss, zu dem man nicht viel sagen muss: Vielleicht noch dies: Beim Weihnachtstreiben nichts trinken, sondern nüchtern bleiben! So geht man nicht so leicht zu weit und spart sich manche Peinlichkeit! Doch kommt’s ganz dick, dann nehmt als Zeichen, von Weihnachtsfeiern zu entweichen, wenn, statt dass man von Freude singt, der „schöne Westerwald“ erklingt! Manfred Günther * Eigen-, Orts- und Firmennamen geändert! ** Kasatschok = der Tanz der Kosaken Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 51