Guste eiskalt Eine Klage alter Männer* Wir Männer sind (und grad wir alten!) doch eigentlich recht gut zu halten, sehr pflegeleicht - ganz ohne Lohn. Und dann: was brauchen wir denn schon? Ein wenig Licher hin und wieder. Franzbranntwein für die morschen Glieder, ‘ne Brille jedes zweite Jahr und Unterhosen - nur ein paar, sodass sie vier, fünf Tage reichen. Zum Frühstück (hie und da!) ein Eichen, ein Haspel (wöchentlich) mit Kraut, ein Korn danach, dass man verdaut. Ein Sesselchen im Fernsehzimmer. Die Sportschau, samstagabends immer (und dass die Frau sich folgsam zeigt und während dieser Sendung schweigt!). Ansonsten sind wir sehr bescheiden, bemüht, das Schlürfen zu vermeiden und andres, was die Frau nicht mag. Doch was ist davon der Ertrag? Wir werden selten nur getätschelt, kaum je bewundert, nie gehätschelt, nicht angehört, nicht anerkannt, sind einfach nicht mehr int’ressant, doch steter Anlass für Beschwerden! Und dann, je älter Männer werden, je mehr die Geisteskraft versiegt, der Charme, das Charisma verfliegt, je steiler geht es noch hinunter. Mit dreißig lebt man noch recht munter, mit vierzig sieht’s schon schlechter aus. Mit fünfzig putzt man sich heraus, um mittels Piercing oder Ketten die Attraktivität zu retten. Mit sechzig ist es dann vorbei: Was wir auch tun, ganz einerlei. Es gilt - und das ist nicht zum Lachen! - aus Knackern ist kein Kerl zu machen! Wir werden schwach - die Frau erstarkt! - Ein Beispiel noch vom Gallusmarkt**: Der Fritz (sein Eheweib heißt Guste) hat grad das Alter, das bewusste, ist einundsechzig und bebrillt, geht leicht gebeugt und gibt das Bild des ziemlich wohlbeleibten Alten. Die Tränensäcke schlagen Falten (was Fritz mit Tagescreme bekämpft). Die Stimmung Fritzens ist gedämpft, denn seine Guste hat soeben ihm deutlich, klar Befehl gegeben, den Stand mit Haxen zu umgeh’n, vorm Würstchenbrater abzudreh’n, um, wie sie sagt, ihn vor „Gefahren der Herzverfettung“ zu bewahren. Jetzt schmollt der Fritz tief innerlich, geht weiter, schweigt und ärgert sich und eben ist er abgebogen... Doch ist sein Ärger schnell verflogen, denn dort - vor einem Kleiderstand - steht eine Waage an der Wand - nicht irgendeine Körperwaage! Vielmehr sagt diese auf die Frage nach dem Charakter, wer ich bin? Auch blickt sie hinter Herz und Sinn und weiß den jung- und alten Leuten den Grund der Seele gar zu deuten, sofern man einen Euro löhnt. Das tut der Fritz, die Waage stöhnt, als er mit Schwung sie jetzt bestiegen. Sie rüttelt kurz, als wollt’ sie fliegen, dann schiebt sie aus dem Kartenschlitz das Wiegekärtchen für den Fritz. Der prüft es beim Heruntertreten (jawohl, so hätte er’s erbeten!), dann spricht er: „Guste, sei ganz Ohr!“ Und liest es seiner Gattin vor: „Ich bin, so steht es hier geschrieben, in meinem Herzen jung geblieben! Sympathisch bin ich, ein Genie, energisch, voller Phantasie, der tollste Mensch wohl des Jahrhunderts, darum auch sehr beliebt, wen wundert’s! Dann steht hier unten eine Zahl... die ist verkehrt!“ - „Halt, warte mal“, hört man jetzt Guste und sie kichert. „Die Hundertvierzig, sei versichert, sagt dir in Kilo dein Gewicht und ist korrekt. Das andre nicht!!!“ - Wir sind am Ende. Die Geschichte zeigt noch einmal in grellem Lichte, wie’s oft uns ält’ren Männern geht, wobei hier Fritz für viele steht, wie Guste steht für viele Frauen! Statt freundlich Fritz mal aufzubauen und einfach still zu sein, selbst dann wenn’s von ihm heißt: Ein toller Mann!, ist schnell ein wunder Punkt gefunden. Ein Lob dagegen lässt gesunden, gibt neue Kraft und frischen Mut und täte Fritzens Seele gut! Manfred Günther * Bitte Taschentücher bereitlegen! ** Gallusmarkt = Name eines Jahrmarkts in vielen Städten (z.B. Grünberg) Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 46