Nächtlicher Friedensschluss (Teil 2) oder: Ein Glas für zwei Sich zu erinnern wäre wichtig! Deshalb ist’s heute sicher richtig, ich stelle, was gewesen ist, noch einmal dar in kurzer Frist: Es war im Freizeitheim in Bingen... Mit Pfarrer siebzehn Mann verbringen ein Wochenende in Klausur. Am Freitag sprach der Heiner nur: „Warum er in der Kirche wäre?“ Er äußerte die populäre und viel gehörte Pfarrersicht: Sie reden viel, doch schaffen nicht, denn ziemlich läppisch wär’n die Sachen, wie sie Gemeindepfarrer machen. So sei ihr Dienst ein Kinderspiel und das zu ändern, wär’ sein Ziel! - Hier geht’s nun weiter, wie versprochen: Der zweite Tag ist angebrochen mit Rundgespräch und Diskussion... Doch ist es wie auch gestern schon, zum Thema äußert sich nur einer - und wieder ziemlich hart! - der Heiner. So wie’s am Freitagabend war, lässt Heiner nicht ein gutes Haar an Pfarrern, die es „nicht verstehen, ihr Amt mit Einsatz zu versehen“, sie wären oft zwar „ziemlich klug“, doch „ohne jeglichen Bezug zur Welt, in der die Menschen leben“. „Unnahbar sind sie, weltfremd eben“, deswegen zöge er den Schluss, dass hier sich „etwas ändern muss“ und das recht bald, nicht erst in Jahren! - Wir wollen uns das Weit’re sparen; auch dieser zweite Tag läuft schief. Es kommt zum tiefsten Stimmungstief, auf dieser Freizeit liegt kein Segen. Als sie sich abends niederlegen, sind Frau und Mann von Herzen froh (der arme Pfarrer sowieso!), dass nun auch dieser Tag vergangen. Man geht zu Bett für einen langen und hoffentlich auch ruhigen Schlaf. Der Pfarrer zählt nun Schaf um Schaf, doch hält ihn wach des Tages Kummer, vertreibt für Stunden jeden Schlummer, bis in die Zeit nach Mitternacht. Doch dann - war’s wohl des Schicksals Macht? - hebt Pfarrer Hain sich aus den Pfühlen. Das Licht bleibt aus, er schlurft den kühlen stockdunklen Flur des Heims entlang. Dann scheint’s, als ob jetzt auf den Gang ein andres, zweites Wesen trete. Der Pfarrer stutzt. Ist’s nicht, als wehte ein weißes Tuch im Luftzug dort? Herr Hain erschaudert, macht sich fort und steigt hinab ins Frühstückszimmer. Auch hier von keinem Licht ein Schimmer, doch auch im Finstern weiß Herr Hain, dort auf dem Tisch, da muss es sein... Und wieder will es ihm so scheinen, es gäbe jetzt im Raum noch einen, der so wie er durchs Dunkel schleicht... Jetzt hat Herr Hain den Tisch erreicht, er tastet nach den Konfitüren und kann die Schraubverschlüsse spüren, er freilich sucht ein andres Glas... Zum dritten Male spürt er was: Ein Atemhauch streift seine Wange! Dem Pfarrer wird es langsam bange, doch nah ist das, was er jetzt braucht! Er streckt den Zeigefinger, taucht ihn in die Creme aus Schokolade! Doch was ist das? Er will gerade zurück den Zeigefinger zieh’n, da klemmt ein fremder Finger ihn im Glas und lässt ihn nicht entweichen. Sekunden voller Angst verstreichen, bis endlich einer sich befreit. Es ist der Pfarrer und er schreit: „Wer ist hier noch Nutella naschen?“ - Die Leser wird’s nicht überraschen, „ich bin’s“ ruft Nascher Nummer zwei, der Heiner und er lacht dabei. - Was weiter in der Nacht geschehen, war, wenn wir es bei Licht besehen, was man ein Zeichen nennen muss: Es kam zu einem Friedensschluss derweil sie ihre Finger reckten und voll Genuss Nutella schleckten. Denn Heiner hat in jener Nacht, begriffen, was er nie gedacht: Dass Pfarrer zwar unnahbar scheinen, doch es nicht sind. Auch wenn wir meinen, sie wären weltfremd, trügt der Schein! Ein Mensch ist nicht nur Pfarrer Hain, nein, jeder Pfarrer, den wir kennen. Sie haben, was wir Laster nennen, sie leben mitten in der Welt und tun, wofür sie angestellt im Dienst an Kindern, Männern, Frauen. Sie brauchen Liebe und Vertrauen, sie brauchen Anerkennung, Spaß... und sei’s aus dem Nutella-Glas! Manfred Günther Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 45