Die andere Sicht Von Aktien, Kurs und Dividenden Wir hören heut’ von einem Pärchen, Jasmin und Heinz. Sie nennt ihn „Bärchen“, er sagt jetzt „Hühnchen“, früher „Huhn“. Der Namenswechsel hat zu tun mit der Diät, die „Hühnchen“ machte, der „Fitness-Kur“, bei der man sachte mit FdH*, mit Sport und Zeit, den Leib ganz sanft von Fett befreit, um dann, statt wieder „aufzutreiben“, für lange schlank und fit zu bleiben: gesund und straff - mit Traumfigur! Doch machte „Hühnchen“ nur die Kur. Danach war „Huhn“ als Kosename für sie als gertenschlanke Dame ihr weder angenehm noch lieb. Ihr Ehemann indessen blieb der alte, denn er aß nicht mäßig, war vielmehr gierig und gefräßig und das noch schlimmer als zuvor. Was sie bei der Diät verlor, fraß er, anstatt sich zu entschlacken, sich an auf Wangen, Bauch und Backen. So nennt sie nicht von ungefähr ihn nicht mehr „Bärchen“, sondern „Bär“. - Jasmin, das „Hühnchen“, fing nun gestern massiv und deutlich an zu lästern, was Heinz, den „Bär“ nicht wenig stört! Es wäre, sagt sie, unerhört, wie weit er schon „vornüber hinge“! Wenn er die Fresssucht nicht bezwinge, dann platze ihm wohl bald der Bauch. Die Hüften und der Hintern auch, erst recht die Brust sei richtig weiblich. Das Bild von ihm - zumindest leiblich - wär’ eines „Bärchens“ Bild nicht mehr! Sie rate ihm, es eile sehr, nicht länger der Diät zu wehren, durch Kur dahin zurückzukehren, auf dass sie ihn als ihren Mann auch wieder „Bärchen“ nennen kann. - Soweit Jasmin, sie ist am Ende. Macht wohl ihr Heinz die große Wende, mit einer Kur und durch Diät? Und ist es wohl noch nicht zu spät, wird er vom „Bär“ zum „Bärchen“ wieder? - Erst schlägt er lang die Augen nieder, dann denkt er, was man sehen kann und schaut dabei sein „Hühnchen“ an, beschließt, sein Schweigen jetzt zu brechen, beginnt ganz langsam nun zu sprechen: „Mein liebes Hühnchen, deine Sicht, ist sicherlich die rechte nicht! Es gibt da nämlich ohne Frage den andern Blick auf unsre Lage und dieser andre Blick besagt, ich müsst’ es sein, der sich beklagt! Lass mich die Sache so erklären, als ob wir beide Aktien wären, so wird’s auch dir wohl sonnenklar. Es ist doch so, ganz offenbar: Als Aktie ist dein Kurs vor Wochen durch FdH stark eingebrochen, gut dreißig Kilo, sprich: Prozent! Nun weiß der, der die Börse kennt, die Aktie wird sich nicht erholen! Als Aktionär ist man bestohlen, nix Dividende, kein Gewinn! Doch jetzt zu mir, du weißt, ich bin durch Schlemmen dreißig Kilo schwerer, im Sinn der Börse ein Vermehrer der Dividende, des Gewinns, der Zinsen und des Zinseszins! Darf ich dich darum jetzt wohl fragen: Wo ist dein Grund, dich zu beklagen? Geschäftlich läuft’s für dich doch fein Du könntest recht zufrieden sein!“ - Zum Schluss wird’s noch, so wie gewöhnlich, für mich als Dichter ganz persönlich, doch ist es mir nicht angenehm. Denn wie bei Heinz, ist mein Problem: Ich hasse FdH und Fasten und trag’ wie er an schweren Lasten an Stellen, wo sie fehl am Platz. Mein Fazit drum in einem Satz: Ich kann den Heinz sehr gut verstehen und muss wie er die Sache sehen: Rein börsenmäßig hat er recht! Was ist an Kursgewinnen schlecht? Manfred Günther * FdH = Friss die Hälfte! Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 28