Fastenzeit Ganz oder gar nicht! Die Lotte will bis Ostern fasten, zunächst, sich leiblich zu entlasten, sie denkt an fünf bis sieben Pfund. Doch gibt’s noch einen zweiten Grund, der liegt für sie im Religiösen: Sie will auch innerlich sich lösen von dem, was lang schon starr und fest sie bindet und nicht frei sein lässt zu tun, was sie als Christin sollte (und tief im Herzen gerne wollte!): dass sie den Herrn der Christenheit begleitet in der Leidenszeit. - Der Aschermittwoch ist gekommen. Was sich die Lotte vorgenommen, ist - wie man glaubt - nicht allzu schwer: Bis Ostern hin kein Fernseh’n mehr, kein Alkohol nebst Süßigkeiten. Doch Lotte weiß, dass sie zuzeiten das Fasten unterbrechen muss: Schon heute Abend kommt der Schluss des Films, der gestern angefangen! Und dann, sie kann auch nicht verlangen, dass täglich zwischen sechs und acht, man mit den Serien Pause macht, die muss sie also täglich sehen! Auch wird es jeder gut verstehen, wenn - wie gewohnt - sie nebenbei Pralinen nascht - nur zwei bis drei! - und trinkt dazu ein Gläschen Roten. Sonst bleibt der Alkohol verboten ... nur einmal in der Woche nicht. Denn immer freitags unterbricht das Kaffeekränzchen mit Renate, Sybille, Jutta und Beate den sonst gewohnten Tageslauf. Dann machen sie ein Fläschchen auf und nehmen zum Kaffee auch Kuchen! Doch Lottes Plan ist zu versuchen, dass man bei einem Fläschchen bleibt und dass es niemand übertreibt beim Kuchen- und beim beim Tortenessen! Ach ja, auch darf sie nicht vergessen: Sie ist im Laufe der Passion bei Opa Ernst und ihrem Sohn, der Tante Frieda, Oma Line, bei Ann-Kathrine, der Cousine, dem Vetter Erich, Onkel Wim, bei ihren Neffen Hans und Tim sowie der Nachbarin Frau Meier geladen zur Geburtstagsfeier. Da geh’n zwei Dinge sicher nicht: Daheim zu bleiben und Verzicht auf Alkoholika und Torten und Naschereien aller Sorten! - Doch Lotte bleibt bei ihrem Plan! Erliegt dem aussichtslosen Wahn, sie könne sich in zweie teilen, von der die eine auf dem steilen und harten Weg des Fastens geht, die andre aber abseits steht mit Schnaps und Kuchen in den Händen. Gescheiter wäre, zu beenden, was niemandem gelingen kann. Das Fasten braucht den ganzen Mann, die ganze Frau an allen Tagen, denn keiner kann nur halb entsagen, ein bisschen nur, dann wenn es passt. Wer einen Fastenvorsatz fasst und meint es ernst, der bleibt im Heute, denkt nicht an Morgen, an die Leute und dass er’s sowieso nicht schafft ... Er konzentriert vielmehr die Kraft eins nach dem andern von den Dingen, die ihn versuchen, zu bezwingen. - Das, was du vorhast, tue ganz!, heißt du nun Lotte oder Franz, Karl, Friedrich, Tine, Hans, Elvira, Heinz, Wilma, Walter oder Mira ... - Je härter unterwegs die Pein, je schöner wird’s an Ostern sein! Manfred Günther Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 21