Begegnung auf dem Bahnhof Von der Macht des Humors Der Friedrich und der Alexander war’n einst befreundet miteinander in ihrer Schul- und Jugendzeit. Ein Mädchen hat sie dann entzweit, in das sie sehr verschossen waren: die hübsche, dunkelblonde Maren! Doch wer auf Liebe sich versteht, der weiß, dass zwei zu eins nicht geht - ein Männerherz kann stets nur siegen, das andere muss unterliegen - dem Friedrich war der Sieg bestimmt. Nun kann, wer einem andern nimmt, woran in Liebe der gehangen, der Freundschaft Dauer nicht verlangen! So war’s auch hier: Es kam zum Bruch, getreu dem alten, weisen Spruch: In Herzensangelegenheiten wird niemals der Verstand uns leiten! Für Freundschaft war fortan kein Platz! (Doch blieb auch Friedrich nicht der Schatz, den Maren sich zum Mann erwählte! Was Alexander gleich schon quälte, brach über Friedrich auch herein: Die Schmach, von ihr verschmäht zu sein und einem Dritten unterlegen.) So war es eine Frau, weswegen aus Freundschaft damals Hass entstand. - Inzwischen ging viel Zeit ins Land, in der - ganz anders als sie dachten! - die zwei recht steil Karriere machten: Der Friedrich wurde Kardinal, der Alexander General. Doch wie es manchmal kommt im Leben, es hat ein Wiederseh’n gegeben: In Frankfurt war’s, am Bahnhof West. (Ein Wink des Schicksals, das steht fest, denn weder fahren Generäle, noch Bischöfe und Kardinäle in einem Zug der Bundesbahn! Doch war es klar des Höchsten Plan, dass beide hier zusammenkommen! Woran wir seh’n, - nicht nur die Frommen!, dass „oben“ einer nach uns schaut!) Die beiden Männer sind ergraut - man sah sich nicht seit vierzig Jahren! - und doch ist jeder sich im Klaren, was Seltsames hier vor sich geht und wer da plötzlich vor ihm steht. So schau’n sie sich jetzt an, die beiden und können sich wie früh’r nicht leiden, der alte Hass steht wieder auf und nimmt im weiteren Verlauf Besitz von Herzen, Mund und Mienen. Ornat und Uniform sagt ihnen, wie hoch der andere im Rang ... Nun braucht es denn auch nicht mehr lang, da hört den Kardinal man sagen: „Herr Schaffner, darf ich sie was fragen, wann wohl der Zug nach Friedberg fährt?“ Man spürt, bei Alexander gärt die Wut, jedoch er kann sich fassen. Er mustert äußerlich gelassen des Kardinals gewölbten Bauch unterm Ornat ... dann spricht er auch: „Nun, gnäd’ge Frau, recht gerne sage ich Ihnen Antwort auf die Frage. Doch bitte sagen Sie mir dann, warum sie ohne Ihren Mann so kurz vor der Entbindung reisen?“ Auch Friedrichs Fassung ist zu preisen, er bleibt ganz ruhig und zeigt damit, er ist der Meinung, sie sind quitt und die Begegnung wär’ zu Ende ... Doch irrt er sich! Es kommt die Wende, weshalb ich, was ich heut’ erzählt, euch vorzulegen ausgewählt: Die beiden nämlich bleiben stehen. Statt dass sie auseinandergehen, seh’n sie sich lange ins Gesicht. Und dann - bei beiden - wie ein Licht strahlt auf ein Lächeln, dann ein Lachen, und um die Sache rund zu machen, nimmt man sich fest noch in den Arm und hält sich eine Weile warm, obwohl’s doch gar nicht kalt gewesen. - Zum Schluss gibt’s die Moral zu lesen, die heute einmal dreigeteilt: Wir lernen erstens, dass auch heilt, woran die Menschen lang schon leiden! Dann - zweitens - seh’n wir an den Beiden, dass manchmal (wenn nicht alles trügt!) sich etwas „ganz von oben“ fügt, sodass geschieht, was ungewöhnlich! Das Dritte ist für mich persönlich als dieser Dichtung Verseschmied, der stärkste Wink, an dem man sieht: Humor hilft mit vom Bann des Bösen und alten Hassgefühls zu lösen! Die Feindschaft hat nicht länger Macht, wo einer mit dem andern lacht! Manfred Günther Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 17