Im Kurschattenreich Viermal Rückfall und Genesung Des Schicksals Absicht - oft verborgen - war klar an jenem Montagmorgen im „Reha-Zentrum Adomeit“, Bad Orb*. Es war zur selben Zeit, dass hier im Haus bei den Salinen, zwei Männer und zwei Frau’n erschienen, die sich bis dato nie geseh’n. - Jetzt sieht man sie am Schalter steh’n, um für die Reha einzurücken. Die Viere - allesamt an Krücken! - sind schnell (beim Kuren geht’s im Nu!) nach fünf Minuten schon per Du und mittendrin beim Namen tauschen ... Wir geh’n mal näher, um zu lauschen: Da ist der Fritz aus Altenstadt, der eine neue Hüfte hat. Der andre Mann, er nennt sich Jochen, hat „nur“ das linke Bein gebrochen. Die blonde Frau, sie heißt Sophie, bekam ein Kunstgelenk am Knie. Die braune Kleine ist Christine, sie spricht mit Leichenbittermiene: „Infolge eines schweren Falls brach mir der Oberschenkelhals.“ Nun ist vom Haus auch wer gekommen. Die Viere werden aufgenommen und kriegen, wenn auch ungefragt, des Hauses Ordnung aufgesagt. „Beim Kurerfolg“, man spricht ganz offen, wär’n „keine Wunder zu erhoffen“, es käme da bei Frau und Mann, auf eignen starken Willen an, sich selbst dabei auch einzubringen. Nach Essensplan und andern Dingen, heißt’s endlich (allen zum Pläsier!): „Sie haben Zimmer eins bis vier, sehr schön zum Kurpark hin gelegen.“ Als sie nach oben sich bewegen, wird schon im Lift was ausgemacht: Fritz lacht, er hätte sich gedacht, es würde ihre Krücken schonen, wenn zwei je Tür an Türe wohnen: Er Zimmer eins, Christine zwei, Sophie und Jochen, vier und drei. - So wird es auch gemacht. (Wir staunen! Stimmt doch, was sie von Kuren raunen: Man nähm’ es mit der eignen Frau, dem eignen Mann hier nicht genau, zumal die in der Ferne weilen? Da Reha-Tage rasch enteilen, wird, was nur reinpasst, reingepackt: Beim Kuren geht’s im flotten Takt, auch ist - der Heilung kann’s nicht schaden - man hier bereit zu Eskapaden und nutzt, so gut wie’s möglich ist, die Gunst der Zwanzig-Tage-Frist, die von den Kassen vorgesehen, um hier gepflegt ... mal fremd zu gehen, ganz frei von Scheu und Förmlichkeit. - Zurück ins „Zentrum-Adomeit“: Zwar morgens einzeln angefahren, sitzt man zum Nachtmahl schon in Paaren; an einem Vierertisch war Platz. Am zweiten Tag schon sagt man „Schatz“ und „Hase“, „Lämmchen“ oder „Bärchen“ und lebt drei Wochen dann als Pärchen, folgt ihm und ihr nun schattengleich im Reha-Zentrums-Schattenreich und kann dabei noch gut gesunden, hat täglich viele schöne Stunden und trennt sich für die Fango nur und die Bewegungseinzelkur und ist ansonsten stets zusammen. Je stärker Herzen nun entflammen, je mehr tritt auch Genesung ein an Schenkel, Hüfte, Knie und Bein, bis endlich nach rund vierzehn Tagen, die Knochen ohne Krücken tragen und nichts mehr die Erholung hemmt. Man geht auch lange nicht mehr „fremd“, im Gegenteil: Man hat jetzt immer zu zweit nur noch das eine Zimmer und ist sich nah und ist es ganz. Am Abend geht man gern zum Tanz und fühlt sich wieder jung und spritzig und wird beim Tango richtig hitzig und jeder Tänzer denkt bei sich: so ist der Himmel sicherlich, es wird ein solches Reha-Leben gewiss auch bei den Engeln geben! - Doch dann naht sich der letzte Tag ... und - rätselhaft! - mit einem Schlag wird’s grade so, wie noch vor Wochen: Es schmerzen wieder alle Knochen, ja schlimmer als es anfangs war. Man greift nach seinem Krückenpaar und steigt dann um auf Rollatoren. Die Lebenslust scheint ganz verloren, zu „Schatz“ und „Lämmchen“ fehlt die Kraft, aus ist es mit der Leidenschaft, ein Rückfall lähmt die schwachen Glieder. Die Depressionen kommen wieder, geschwunden jeder Kurgewinn, und alle Freude ist dahin. - Am letzten Tag, zur letzten Stunde kommt endlich dann die frohe Kunde: Der Kurarzt naht - es wird auch Zeit! - und spricht: „Es ist nun doch soweit, es kam ein Brief von Ihren Kassen, man will Sie weiter kuren lassen, zwei Wochen gibt’s Verlängerung!“ - Zurück ist rasch der alte Schwung! Die Viere sind wie neu geboren! Weg mit den Krücken, Rollatoren! Sie sind gesund in Stundenfrist! - Wenn das nicht doch ein Wunder ist!? Manfred Günther * Orts- und Eigennamen sind frei erfunden Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für die Alsfelder Allgemeine Zeitung 08