Der 60. Geburtstag (Ein Protokoll - ich muss es schließlich wissen!) Der Walter wird in diesen Tagen die sechzig. Aber wenn wir fragen, was er sich wünscht zu diesem Tag und wie er denn wohl feiern mag: im kleinen Rahmen oder groß, im Restaurant, zu Hause bloß ...? Dann winkt er ab und will nicht sprechen und wird sein Schweigen auch nicht brechen, wenn einer meint, bei solchem Feste, gäb’s schließlich doch auch viele Gäste, weshalb, bis zur Geburtstagsfrist noch vieles zu besorgen ist: Getränke, Torten und Servietten, auch Kerzen, Nüsse und Salzletten ... Der Walter schweigt und redet nicht. Auch zeigt die Haltung, sein Gesicht: Es will ihm ganz und gar nicht passen, sich mit der „Sechzig“ zu befassen! Es scheint, die Zahl ist ein Tabu! Doch gegenläufig ist dazu, dass Walter lang schon eifrig fastet! Vom Bauch, der früher ihn belastet, blieb nur ein schlaffer Rest zurück. Der Gürtel sitzt ein gutes Stück in Richtung Nabel weiter oben. Auch Walters Fitness ist zu loben, weil er seit Wochen Hanteln hebt. Die Körperhaut ist neu belebt, er streicht sie täglich ein mit „Bübchen“*. Auch sorgt er für sein Oberstübchen, indem er Kreuzworträtsel löst. Und wenn er mal beim Fernseh’n döst, nutzt er die Zeit zum Füße baden. Die Haare sind, das kann nichts schaden, zum früh’ren Braun renaturiert. Den Pickel, der die Nase ziert und an der Hand die Altersflecken kann er mit Abdeckstift verstecken, was auch bei Krähenfüßen nützt. Den Hals, Gesicht und Hände schützt er länger schon mit Cremes und Ölen! Auch zupft er aus den Nasenhöhlen und aus den Ohren jedes Haar! Was einst aus Schiesser-Feinripp war, mit „Eingriff“ in der Unterhose, hängt oben ungerippt und lose herab bis über „Slip“ und „Pant“, wie man die unt’re Wäsche nennt (sie hat nichts mehr, um „einzugreifen“!) Für Tag und Nacht gibt’s eig’ne Seifen, ein Männerdeo: Moschus pur, ein Wässerchen für Nassrasur und eins für strahlend schöne Augen, ein Gel, die Zähne abzulaugen, bis sie so weiß sind wie der Schnee... Im Bad steh’n nach dem ABC geordnet Dosen, Tuben, Tiegel. Mit Lupe und Vergröß’rungsspiegel rückt jeder Rötung er zuleib’. Sein allerliebster Zeitvertreib ist neue Mittel ausprobieren und sich mit ihnen einzuschmieren. Noch vor dem Fest (man hat’s geahnt!) ist auch noch ein Tattoo** geplant sowie ein Piercing an den Brauen. Ach ja, er sieht auch nach den Frauen, der Walter ... die ihm nicht gehör’n! - Doch eh’ wir uns nun sehr empör’n, seh’n wir’s ein wenig mitleidsvoller: Der Walter hat „Geburtstagskoller“, der grade Männer gern beschleicht. Doch sind die sechzig erst erreicht, ist’s wieder gut für viele Jahre! Dann werden wieder grau die Haare und auch der Pflegepegel sinkt. Und wo noch heut’ das Piercing blinkt wird sich das kleine Loch verwachsen! Vorbei sind dann (vorerst!) die Faxen, doch wie gesagt, für Jahre bloß: Vorm Siebzigsten geht’s wieder los! Manfred Günther * Bübchen = Hautcreme für Babys und zarte Haut ** Tattoo (sprich: Tattuh) = Tätowierung Der Karl, die Frieda und die andern... - Gedichte für Alsfelder Allgemeine Zeitung 01