Das Gesangbuch Ein Christ, er ist mal wieder weiblich, will heut, es ist schon zwölf vor zehn, nicht in Gedanken nur, nein, leiblich in ihres Dorfes Kirche gehn. Ihr Männe liegt noch tief im Schlummer (- ein Kirchgang scheint ihm ohne Wert, für seine Frau ein großer Kummer!). Sie steht darum auch noch am Herd und schnipselt für das Mittagessen die Bohnen noch zum Mockenspeck*. Fast ging das Bohnenkraut vergessen! Doch fast nur. - Da, der nächste Schreck: Sie muss noch das Gesangbuch holen, das liegt dort, wo es hingehört, beim Ehebett. Auf leisen Sohlen schleicht sie, dass sie den Mann nicht stört, doch der schläft fest, fast wie verschieden. Im leichten Trab gehts jetzt zurück, das Bohnenwasser ist am Sieden. Sie gibt hinein den Speck am Stück und macht sich auf, sie muss sich sputen, zur Kirche, die jetzt gleich beginnt (- der Turmuhr nach in zwei Minuten!). Sie weiß, die Pfarrerin, Frau Lind, hält Gottesdienst in halben Stunden - genau die Zeit, genau die Frist, in der zu Haus - wie wird es munden! - der Speck mit Bohnen fertig ist! Nun sitzt sie da und lauscht dem Klingen das Orgler Müller produziert. Die Pfarrerin lädt ein zum Singen, was jetzt die Orgel intoniert: „Gib dich zufrieden und sei stille...“, ist, was die Christin gerne singt. Sie sucht Gesangbuch noch und Brille, damit das Singen auch gelingt. Man sieht sie in ihr Täschchen fassen, die Brille liegt gleich oben drauf, doch dann sieht man die Frau erblassen, auch reißt sie ihre Augen auf... Jetzt nämlich zieht sie was nach oben, was mehr als ein Gesangbuch wiegt: Schon wird der Speck herausgehoben! Wo da wohl das Gesangbuch liegt??? Manfred Günther * Mockenspeck - Speck einer Muttersau - nach der Schlachtung!!!