Gebet Ein Christ bemerkt, dass er seit Wochen (es fehlte wirklich nicht die Zeit!) mit seinem Gott kein Wort gesprochen, trotz mancherlei Gelegenheit. Die Tage sind im Glück vergangen, auch ging das meiste ihm nach Plan; zum Ziel kam, was er angefangen, rein alles lief auf ebner Bahn. Die Sonne schien ihm allerwegen, da gabs nicht Not, nicht Ungemach: Ein Lebensabschnitt voller Segen, dem Säen folgte Ernte nach... Warum, so muss er selbst sich fragen, entstand aus Segen kein Gebet? Hat einer Gott denn nichts zu sagen, wenn alles so zum besten steht? - Ein zweiter Christ hat schwere Stunden, ein Mann im Leid, von Angst bedroht; sein schlimmes Schicksal schlägt ihm Wunden, mit einem Wort: Er ist in Not. Man staunt: Was kann doch dieser flehen! Er bittet, jammert, klagt beredt vom Morgen bis zum Schlafengehen: Sein ganzer Tag ist ein Gebet! Es gilt - man sieht es beim Vergleichen - das Beispiel hat es klar gezeigt: Das Beten ist des Kummers Zeichen, indessen Glück nur nimmt - und schweigt! (Doch kann mans wohl auch so betrachten, das Sprichwort weiß es lange schon: Es ist der Undank, das Verachten, nicht nur der Welt - auch Gottes Lohn!) Manfred Günther