Christvesper Ein Christ hockt schmollend in der Enge, die Heiligabend stets entsteht, wenn kirchenwärts der Christen Menge zur „Jahreshauptversammlung“ geht. Es stört ihn, so bedrängt zu sitzen: man will ja Christ, nicht Hering sein! Auch spürt er jetzt, er kommt ins Schwitzen. Da stellen sich doch Fragen ein: Warum nur - statt sich zu verteilen auf Gottesdienste übers Jahr - zieht alles vor, sich einzukeilen? Sucht also nicht ganz offenbar die Masse hier nur frommes Rühren und will bei Glanz und Lichterbaum der Kinderzeit Gefühle spüren, den süßen, alten Weihnachtstraum...? Auch fragt der Christ: Ob Gott zum Lobe die große Menge hier vereint? Ob nicht vielmehr die Garderobe von manchem erstmals hier erscheint, mit andern Worten: Ob die Gaben, die mancher Christ zum Fest empfing, nicht heute hier Premiere haben: Das Kleid, die Perlen und der Ring...? Er selbst wird in den nächsten Jahren, so lautet jetzt schon sein Beschluss, sich auch zur Weihnacht „Kirche“ sparen: Das trübt doch jeden Festgenuss, hier derart eng und hart zu hocken! Es drückt auf Lunge ihm und Herz; auch ist die Luft so heiß und trocken und viel zu warm der neue Nerz! Manfred Günther