Anstand Ein Christ ist eben zugezogen und wohnt im neuen Kirchgebiet; er war der Kirche stets gewogen: Ein Mensch, dens zur Gemeinschaft zieht. So klopft er in den ersten Tagen am neuen Ort beim Pfarrer an: „Ich möchte“, sagt er, „Sie mal fragen, was hier Gemeinde bieten kann.“ Besteht ein Angebot an Kreisen? Ist man beweglich und mobil, das heißt: Gestaltet Ihr auch Reisen, und gibt es Freizeitsport und -spiel?“ Der gute Pfarrer muss nicht passen: „Wir haben manches hier am Ort!“ Dann wirbt er noch (er kanns nicht lassen!): „Und Sonntag früh gibts Gottes Wort!“ Und wirklich, in den nächsten Wochen macht unser Christ durch Taten wahr, was seine Fragen schon versprochen, auch schenkts ihm Freude offenbar: Er kommt zu Kreisen aller Arten und nutzt die Kirche oft und gern, nimmt teil an den Gemeindefahrten - bloß fehlt er stets am Tag des Herrn! Die Wochen kommen, Wochen gehen: der Christ hält fest an seinem Brauch: Am Sonntag ist er nie zu sehen und Heiligabend fehlt er auch. Da fragt - das hats noch nie gegeben! - der gute Pfarrer unsern Christ, ob das gezeigte Widerstreben in Sachen Kirchgang heilbar ist? Der Christ muss gar nicht überlegen: „Zur Kirche kann doch ich nicht hin! Und auch dem Anstand wärs entgegen, weil ich doch ausgetreten bin!“ Manfred Günther