Predigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis - 26.10.2014

Textlesung: 2. Mos. 34, 4 - 10

Und Mose hieb zwei steinerne Tafeln zurecht, wie die ersten waren, und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand. Da kam der HERR hernieder in einer Wolke, und Mose trat daselbst zu ihm und rief den Namen des HERRN an.

Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied!

Und Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an und sprach: Hab ich, HERR, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und lass uns dein Erbbesitz sein.

Und der HERR sprach: Siehe, ich will einen Bund schließen: Vor deinem ganzen Volk will ich Wunder tun, wie sie nicht geschehen sind in allen Landen und unter allen Völkern, und das ganze Volk, in dessen Mitte du bist, soll des HERRN Werk sehen; denn wunderbar wird sein, was ich an dir tun werde.

Liebe Gemeinde!

Es gibt nur wenige Bibelabschnitte im Alten Testament wie diesen, in denen wir so viel über Gott erfahren. Nicht alles aber wird uns recht sein und gefallen. Und wir müssen diese Hinweise über die Eigenschaften Gottes, auch erst herauslösen aus dem, was erzählt wird und dabei sozusagen zwischen den Zeilen lesen.

Die erste Eigenschaft Gottes, die wir hier erkennen, können wir aus diesen Sätzen herauslesen: "Und Mose hieb zwei steinerne Tafeln zurecht, wie die ersten waren, und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der HERR geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand. Da kam der HERR hernieder in einer Wolke, und Mose trat daselbst zu ihm und rief den Namen des HERRN an." - Ich denke, Sie haben das noch in Ihrer Erinnerung: Mose hatte schon einmal auf dem Berg Sinai die steinernen Tafeln mit den 10 Geboten von Gott erhalten. Dem Volk Israel, das unten am Fuß des Berges lagerte, hatte das allerdings zu lange gedauert, bis Mose wieder vom Berg herabgestiegen kam. Sie hatten seinen Bruder Aaron dazu gedrängt, ihnen ein Goldenes Kalb zu gießen, um es anzubeten. Und Aaron hatte das getan.

Mose zerschlug daraufhin voller Zorn die Tafeln des Gesetzes, denn ein Goldenes Kalb anzubeten war ein schlimmer Frevel und ein Verstoß gegen das 1. Gebot.

Jetzt aber hat sich Mose zum zweiten Mal aufgemacht, auf den Gipfel des Berges zu steigen. Er hat zwei neue Steintafeln dabei und will Gott bitten, ihm noch einmal die 10. Gebote zu diktieren. Dass Gott sich darauf einlässt, zeigt uns ein Stück seines Wesens: Er ist immer bereit zu vergeben, mag die Sünde der Menschen auch noch so groß sein.

Und vielleicht kommen uns jetzt ja einige der Geschichten des Neuen Testaments in den Sinn, die uns zeigen, dass es derselbe Gott ist, der Israel die 10 Gebote gegeben hat und den Jesus unseren "himmlischen Vater" nennt. Ich musste zuerst an den Verlorenen Sohn denken, der doch sein ganzes Erbe vergeudet und verprasst hat und den der Vater doch mit ausgebreiteten Armen aufnimmt und wieder als sein Kind einsetzt und gar ein Freudenfest mit ihm feiert. Und an den Zöllner Zachäus musste ich denken, der seine Landsleute jahrelang mit überhöhten Zöllen ausgenommen hat, mit dem Jesus aber doch Tischgemeinschaft hält und ihm damit zeigt, dass Gott ihm vergibt.

Gleich ein ganzes Bündel von Eigenschaften Gottes offenbaren uns die nächsten Zeilen der Geschichte von der Erneuerung der Gesetzestafeln: "Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat..." - Ich weiß nicht, ob Sie das richtig verstanden haben, aber es ist wirklich Gott, der hier über sich selbst spricht, wenn es heißt: ...der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber und rief aus: HERR, HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde... Barmherzig ist Gott: Er liebt sein Volk, auch wenn es immer wieder gesündigt hat und von ihm, dem wahren Gott abgefallen ist. Gnädig ist Gott: Täglich ist er bereit, mit denen neu anzufangen, die nach der Befreiung aus Ägypten während der Wanderung durch die Wüste immer wieder gemurrt und genörgelt und ihn vielfach bitter enttäuscht haben. Und Gott ist geduldig: Er lässt seinem Volk die Zeit, die es braucht, bis es endlich begreift, wie gut er es mit ihm meint. Und schließlich ist Gott auch treu: So viele Gründe hätte Gott gehabt, sein Volk aus seiner Obhut zu entlassen, aber er bleibt seinem Volk und sich selbst treu und hält den Bund, den er zugesagt und erfüllt die Verheißungen, die er versprochen hat.

Und auch hier erkennen wir deutlich, dass der Gott Israels derselbe Gott ist, der uns Jesus Christus gesandt und ihn für uns zum Vorbild, zum Bruder und zum Erlöser gemacht hat: In ihm geht Gott zu den Armen und Schwachen, zu den Außenseitern am Rand der Gesellschaft, zu den Kranken und Behinderten, den Geächteten und den Sündern... Und allen widerfährt in ihm Gottes Barmherzigkeit. In ihm zeigt Gott auch seine Gnade, die den Menschen einen neuen Anfang schenkt, selbst wenn sie sich verfehlt und Schuld auf sich geladen haben, wie die Ehebrecherin aus der bekannten Geschichte. In ihm, Jesus Christus, verkündet Gott aber auch seine Geduld und zeigt sie denen, die noch auf falschem Weg sind und gibt ihnen Zeit umzukehren und sich auf die Seite Gottes zu stellen. Sein "folge mir nach" lässt schon die Jünger frei, mit ihm zu gehen oder zu bleiben, wo und wer sie sind - und bis heute sind wir Christinnen und Christen freundlich eingeladen, unser Leben mit Jesus zu gestalten, aber wir dürfen uns auch eigene Ziele setzen. Kein Mensch wird gedrängt, Gott hat Geduld mit uns.

In alledem erfahren wir die vielleicht wichtigste Eigenschaft Gottes, seine Treue. Wie Gott schon in Jesus bei den Menschen, zu denen er gesandt war und bei seinem Auftrag bleibt, wie er den schweren Weg in Leiden und Tod treu bis zu Ende geht, so geht er auch heute mit jedem Menschen, der ihn in sein Leben ruft, den Weg durch die Jahre und durch alle hellen und dunklen Tage. Wenn auch alle Menschen uns verlassen, Gott verlässt uns nicht! Er ist und bleibt der Gott, "der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde..."

Liebe Gemeinde, wir wollen jetzt aber auch auf die Einschränkung hören, die Gott macht, denn es heißt weiter von ihm: Er "vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied!" Vielleicht erschreckt uns das jetzt und wir fragen, wie das denn zu Gottes Barmherzigkeit, seiner Gnade und seiner Bereitschaft, uns zu vergeben, passt? Dabei halten wir selbst es doch genauso: Bestrafen wir unser Kind nicht auch, wenn es sich falsch verhalten hat? Und erwarten wir nicht auch irgendeine Tat oder vielleicht eine Gabe, mit denen unser Partner, wenn er uns gekränkt hat, seine Entschuldigung begleitet und die Kränkung wieder gut macht? Und wenn wir Gott gegenüber Schuld auf uns geladen haben, hilft uns eine Strafe dann nicht, daran zu glauben, dass uns wirklich vergeben ist?

Andererseits können wir immer wieder beobachten, wie Schuld, besonders unvergebene Schuld immer weiter die Menschen einer Familie oder auch eines Volkes belastet und über Generationen weitergegeben und sozusagen "vererbt" wird und erst dann ihre Macht über die Herzen verliert, wenn man sich zu ihr stellt, sie bekennt, bereut und bearbeitet.

Mose jedenfalls tut damals den ersten Schritt, die Schuld seines Volkes abzutragen: "Und Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an und sprach: Hab ich, HERR, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde..." Er zeigt uns mit seinen Worten, wie das immer gehen muss, wenn wir Schuld loswerden wollen: Zuerst müssen wir unsere Schuld bekennen... Hier geschieht das, wenn Mose sagt: Das Volk Israel, das Frevel getan und das Goldene Kalb angebetet hat, "ist ein halsstarriges Volk". Das zweite ist dies: Wir müssen Gott bitten, wie es Mose damals getan hat: "...vergib uns unsere Missetat und Sünde!"

Jetzt kann Gott verzeihen und aufs Neue mit seinem Volk einen Bund schließen. Genauso will er das auch mit uns tun, denn er ist barmherzig, gnädig, geduldig und treu. AMEN