Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis - 13.7.2014

Textlesung: Röm. 12, 14 - 21

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mos. 32,35): "Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr." Vielmehr, "wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln" (Spr. 25,21-22). Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Liebe Gemeinde!

Dieses Bild: "Feurige Kohlen auf das Haupt des Feindes sammeln", versteht sicher nicht jeder gleich. In einer Erklärung zu dieser Textstelle habe ich gelesen: "Feurige Kohlen sammeln, ist ein Bild für eine heilsame Beschämung". Dazu heißt es: "Durch deine Güte wirst du den Feind so beschämen, dass er seine feindselige Haltung aufgibt."

Ich musste an die islamischen Fundamentalisten denken, die derzeit z.B. im Sudan, in Syrien und dem Irak ihr verbrecherisches Unwesen treiben, die Kinder entführen, Menschen foltern und vergewaltigen, Andersgläubige hinrichten und inzwischen viele Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat bewegt haben. Oft geben sie an, sie führten einen heiligen Krieg und es ginge ihnen um die Errichtung eines Gottesstaates. Und wirklich: Für ihr gottloses und menschenverachtendes Treiben nehmen sie auch noch ihren Gott in Anspruch, dem sie vorgeblich dienen. Wie klingt es da wohl in den Ohren der Menschen, die solchen Feinden ausgeliefert sind, wenn wir ihnen raten, "feurige Kohlen auf ihr Haupt zu sammeln" und sie mit "Güte heilsam zu beschämen"?

Auch die anderen Ratschläge des Paulus laufen angesichts solcher Feinde sicher ins Leere: "Vergeltet ihnen nicht Böses mit Bösem!" - "Seid ihnen gegenüber auf Gutes bedacht!" - "Haltet Frieden mit ihnen und rächt euch nicht selbst!" Nicht nur die von diesen "Feinden" geschundenen Menschen würden ihnen doch eher alles Böse wünschen und sich über jede Hilfe freuen, sich an den Peinigern zu rächen! Und - machen wir uns nichts vor - wir können sie nicht nur verstehen, wir würden uns genauso verhalten und hätten nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Es gibt eine Qualität von Bosheit, von Anmaßung, Gottlosigkeit und Menschenverachtung, der mit größter Entschlossenheit und allen rechtsstaatlichen Mitteln begegnet werden muss!

Aber wir müssen uns gar nicht so weit aus unserem Land und unserem Lebensbereich entfernen, um Beispiele für ein Verhalten zu finden, das so böse und menschenfeindlich ist, dass uns - um es zu bekämpfen - nur noch hartes Durchgreifen und eine drakonische Bestrafung einfällt: Wenn eine Gruppe von jugendlichen Schlägern einen Mann, der ihrem Opfer zu Hilfe kommt, so misshandeln und treten, dass er noch am Tatort stirbt. Oder wenn Rechtsradikale ein Asylbewerberheim belagern und anzünden. Oder auch, wenn sich Mitarbeiter von Arbeitsagenturen oder Behörden an dem Geld bereichern, das eigentlich für die Menschen gedacht ist, die das Geld als Hilfe zum Leben und Überleben bitter nötig haben.

Gewiss ist es nicht dasselbe, einen Menschen totzutreten oder ihm das Geld zu seiner Unterstützung betrügerisch vorzuenthalten, das eigentlich ihm zusteht... Eines aber haben solche ansonsten recht unterschiedlichen Taten gemeinsam: Sie geschehen aus einer Position der Macht heraus und fügen Schwächeren Unrecht und Leid zu. Und noch etwas ist bei diesen Taten gleich: Sie zeugen von einiger krimineller Energie und werden von der Justiz verfolgt. Schließlich können wir von solchen Taten in der Zeitung lesen, darum geben sie uns Anlass, uns über sie zu erregen und sie zu verurteilen.

In jedem Fall aber werden wir auch hier kaum daran denken, "glühende Kohlen aufs Haupt der Täter zu sammeln" und sie so "mit Güte heilsam zu beschämen". Auch der Gedanke, mit den Tätern "Frieden zu haben" und nicht "auf Rache zu sinnen" liegt uns verständlicherweise eher fern.

Müssten wir also nicht bekennen, dass uns die guten Ratschläge des Paulus, wie wir mit unseren "Feinden" umgehen sollen, für unsere Lebenspraxis wenig hilfreich vorkommen, vielmehr ziemlich weltfremd erscheinen?

Liebe Gemeinde, ja, ausdrücklich ja! Sie sind nicht hilfreich, die Ratschläge des Paulus - wenn wir an die Taten und die Täter denken, über die wir bisher gesprochen haben. Und sie sind weltfremd angesichts der Feinde, an die wir bisher gedacht haben. Und noch etwas müssen - oder besser - dürfen wir sagen: Solche Taten und solche Feinde begegnen uns im Laufe eines ganzen Lebens doch eher selten. Gott sei Dank!

Womit wir aber viel häufiger in Kontakt kommen, sind Taten von Menschen, die sich uns oder anderen gegenüber lieblos verhalten, arrogant, unverschämt oder unsolidarisch. Und wir könnten hier noch einige andere Verhaltensweisen anführen, die wir an anderen Menschen erleben, die uns nicht gefallen, die uns wehtun und die - vor allem! - ganz und gar nicht christlich sind. Und "christlich" ist für uns nun einmal der Maßstab, nach dem wir messen und nach dem wir gemessen werden.

Da ist die tägliche Stichelei des Kollegen, dass wir uns mit unserem freundlichen Gruß jeden Morgen beim Chef doch nur einschmeicheln wollen. Da ist die Herablassung, die wir deutlich empfinden, wenn einer in unserem Verein immer wieder betont, dass er schließlich ein paar Semester studiert hat. Da ist das ewige Herumreiten eines Familienangehörigen auf einem Fehler, der uns vor Jahren einmal unterlaufen ist und für den wir uns gewiss schon einige Dutzend Mal entschuldigt haben. Und da ist schließlich das, was uns überall, wo wir uns engagieren, immer wieder passiert: Zuerst waren sich alle einig und unserer Meinung - wenn's zum Schwur kommt, stehen wir allein da und keiner will mit unserem Vorschlag mehr etwas zu tun haben.

Ich glaube, hier können wir die Ratschläge des Paulus gut gebrauchen, hier gehören sie hin und hier helfen sie wirklich: Auf die Stichelei nicht mit Ärger und gleicher Münze reagieren. Vielmehr höflich bleiben und so dem Bösen etwas Gutes entgegensetzen. Auf die Herablassung mit Gelassenheit antworten und so dem anderen den Wind aus den Segeln nehmen und so dem Frieden dienen. Dem, der den Fehler bei uns anmahnt, Recht geben und sagen: Ja, ich habe damals etwas falsch gemacht und es tut mir leid - und wenn es zum hundertsten Mal wäre. So tun wir unser Möglichstes, dass wir einig bleiben und dass wir den Vorwurf irgendwann nicht mehr hören müssen. Denen, die uns, wenn es zur Entscheidung kommt, alleine lassen und alles, was wir zuvor besprochen hatten, vergessen haben, denen wollen wir nicht unseren Zorn zeigen, sondern unsere Barmherzigkeit: Sie sind halt schwach und brauchen es, der jeweiligen Mehrheit anzugehören. Aber wir wollen es ihnen wenigstens sagen, dass wir ein wenig mehr Rückgrat von ihnen erwartet hätten und ihnen das für die Zukunft wünschen.

Ich finde, das alles kommt dem nah, was Paulus meint, wenn er empfiehlt, "feurige Kohlen aufs Haupt der Mitmenschen zu sammeln". So kann wirklich "heilsame Beschämung" entstehen und ein Mitmensch kommt ins Nachdenken und vielleicht zu einer Änderung seines Verhaltens.

Bei alledem aber sind nicht wir diejenigen, die andere verurteilen oder gar an ihnen Rache nehmen. Das überlassen wir Gott, der von sich sagt: "Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr." Und wenn wir uns auch über andere ärgern oder gar zornig sind, dann gilt doch: "...gebt Raum dem Zorn Gottes!" und wir fahren allemal besser damit, wenn wir das befolgen: "...wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken." Und christlicher ist es auch!

Liebe Gemeinde, sicher haben Sie bis jetzt eine bestimmte Sicht auf die Ratschläge des Paulus vermisst. Was ist denn dann, wenn wir auf der anderen Seite stehen? Wenn wir es nötig haben, dass einer "feurige Kohlen auf unser Haupt sammelt" und es uns gut täte, wenn uns einer einmal "heilsam beschämen" würde. Ob wir dann auch so reagieren können, wie wir uns das von anderen wünschen? Ob wir dann die Absicht der Mitmenschen verstehen, dass sie unser Böses nicht mit Bösem vergelten, weil sie uns vom Bösen abbringen wollen? Und ob wir begreifen, dass sie uns gegenüber auf das Gute bedacht sind, um den Frieden zwischen uns zu erhalten? Und dass sie sich nicht an uns rächen, weil sie die Rache Gott überlassen und seinem Zorn Raum geben wollen?

Ich finde, die Ratschläge des Paulus sind nachdenkenswert - ob wir auf der einen oder auf der anderen Seite stehen. AMEN