Predigt zum Sonntag "Quasimodogeniti" - 27.4.2014

Textlesung: Jes. 40, 26 - 31

Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: "Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber"? Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Liebe Gemeinde!

Die Israeliten waren seit vielen Jahren Gefangene in der babylonischen Verbannung. Die Jüngeren von ihnen waren schon in der Gefangenschaft geboren und hatten ihre Heimat und die heilige Stadt Jerusalem noch nie gesehen. Wir können verstehen, wenn es gerade diese noch jungen Menschen als ungerecht empfinden, dass sie fern ihrer Heimat als Verbannte leben müssen. Sie haben ja keine Schuld daran, dass Gott seinem Volk dieses Schicksal bestimmt hat. Und so klagen sie und beschweren sich bei ihrem Propheten Jesaja über ihren Gott: Unser Schicksal ist Gott gleichgültig, wahrscheinlich hat er keine Macht es zu ändern. Vielleicht ist er auch ungerecht und lässt uns für die Sünden der Väter leiden?

Aber Jesaja hat die passende Antwort: "Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt."

Wer schon einmal in einer abgelegenen Gegend ohne Lichtverschmutzung den nächtlichen Sternenhimmel betrachtet hat, der weiß, was hier gemeint ist: Tausende von funkelnden Sternen, hellere Himmelskörper darunter, die Planeten Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Was für ein wunderbares, gewaltiges Bild, das man zuzeiten der babylonischen Gefangenschaft, also vor gut zweieinhalb Tausend Jahren noch viel besser und deutlicher sehen konnte. Dabei müssen wir noch wissen, dass Sterne und Planeten den Babyloniern als eigenmächtige Bestimmer des menschlichen Schicksals und des Geschicks ganzer Völker galten.

Jesaja hält dagegen: "Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen..." Die Sterne und Planeten am Himmelsgewölbe haben selbst keine Macht über das Schicksal! Gott hat sie geschaffen. Er führt sie in ihren Bahnen. Der Herr über das Schicksal ist ER! Es ist seine Macht und seine Kraft, die alles regiert und ER hat auch die Zukunft des Volkes und das Geschick jedes einzelnen Menschen in seiner Hand.

Wie haben die Menschen in der babylonischen Verbannung die Worte des Jesaja aufgenommen? Es scheint so, als hätten sie ihm entgegnet: "Aber vielleicht ist Gott inzwischen müde geworden und hat uns vergessen? Vielleicht hat er auch nicht mehr genug Kraft, uns zu befreien und wieder nach Hause zu bringen?

Aber auch zu diesen Fragen findet Jesaja die passende Antwort: "Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich." Gottes Kraft ist unerschöpflich! Seine Macht ist unermesslich! Sein Verstand ist so groß - er vergisst nichts und niemanden.

Wir können uns vorstellen, dass den Propheten jetzt ungläubige Blicke getroffen haben. Wenn das stimmen sollte, warum merkten die Verbannten in Babylon so gar nichts davon? Auch wenn Jesaja jetzt noch hinzufügt: "Gott gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden", werden ihm das gerade die jüngeren Leute nicht abgenommen haben.

Aber endlich nennt der Prophet auch die Bedingung dafür, dass Gottes Stärke bei den Menschen einziehen kann: "Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft..." "Auf den Herrn harren"... Das ist es! Die Menschen müssen abwarten können, bis die Stunde da ist, in der ihnen Gott hilft. Sie müssen Geduld haben. Gottes Beistand lässt sich nicht herbeizwingen. Gott behält sich vor zu bestimmen, wann die Zeit dafür da ist, dass geschieht, was der Prophet den Gefangenen in Babylon verheißt: "...dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden."

Wir heutigen Menschen wissen, dass wirklich geschehen ist, was Gott hier verspricht: Nur kurze Zeit später war es soweit. Die Verbannten durften heimkehren. Sie haben den Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut, dazu die ganze Stadt und sind dabei nicht müde und nicht matt geworden. Gute Jahre des Friedens begannen, Jahre auch, in der sie Gottes Kraft und seine Nähe spüren konnten.

Liebe Gemeinde, ich denke, jetzt wird es Zeit, dass wir die Fragen aussprechen, die uns schon eine Weile durch den Kopf gehen: "Gilt das Versprechen Gottes auch uns? Gibt Gott auch uns neue Kraft, wenn wir uns müde und matt fühlen, wenn wir meinen, er hätte uns vergessen und sein Arm reichte nicht hinein in die Gefängnisse aus Angst und Einsamkeit, aus Hoffnungslosigkeit und Zweifel, in denen wir sitzen?

Ich glaube, auch für uns gibt es keine andere Empfehlung als diese: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft!" Wir müssen warten können, Geduld haben. Gottes Hilfe erreicht uns dann, wenn er das will, wenn die Zeit dazu gekommen ist.

Ich denke, der einen oder dem anderen von uns geht jetzt gewiss das bekannte Sprichwort durch den Kopf: "Hoffen und Harren macht manchen zum Narren." Und dieses Sprichwort sagt ihnen, dass unser Hoffen und Harren oft vergeblich ist und dass nicht eintritt, was wir uns sehnlich wünschen. Vielleicht erstaunt es Sie, wenn ich jetzt dieses Wort bestätige: Das Wort hat Recht! Mancher wird wirklich zum Narren über seiner Hoffnung - und die muss nicht einmal überzogen sein! Das Hoffen und Harren, das hier angesprochen ist, richtet sich auf Menschen! Da hofft jemand, dass er im Lotto viel Geld gewinnt - und wird über Jahre und Jahrzehnte enttäuscht. Da harrt ein anderer voll Sehnsucht auf den Tag, an dem er endlich die Liebe des Menschen erfährt, mit dem er so gern sein Leben teilen würde - aber dieser Mensch entscheidet sich für einen anderen. Alles Harren war vergeblich.

Es ist anders, wenn wir auf Gott hoffen und harren! Er verheißt uns, dass er uns erhört. Auf ihn zu warten, auf ihn unsere Hoffnung zu setzen, wird nicht enttäuscht. Das heißt nun nicht, dass alles irgenwann Wirklichkeit wird, was wir uns wünschen und erhoffen. Gott, unser Vater, wird uns nichts geben, was schlecht für uns ist, wie ja auch ein irdischer Vater seinem Kind nichts erfüllt, was für dieses Kind nicht gut ist, was seine eigenen Kräfte lähmt oder seinen Charakter verdirbt.

Wir dürfen uns aber darauf verlassen, dass Gott unsere Bitten hört, unsere Sehnsucht kennt und selbst um unsere geheimsten Träume weiß und uns das worauf wir geduldig harren, zu seiner Zeit geben wird. Bei Gott werden wir über unseren Wünschen und Hoffnungen nicht zu Narren, sondern zu Menschen, die Vertrauen zu ihrem Vater im Himmel haben.

Eines dürfen wir jetzt nicht unbesprochen lassen: Es gibt unter uns ganz sicher auch einige, die schon erfahren haben, dass Gott geduldiges Harren auf seine Stunde belohnt. Es war vielleicht auch bei uns eine lange Zeit, in der wir immer wieder gebetet haben, Gott möge uns doch dies oder das schenken. Es war eine Zeit, in der uns immer wieder auch Zweifel kamen, ob Gott wirklich irgendwann einmal erfüllt, was wir ersehnt haben. Es war eine Zeit, in der wir uns ähnlich gefühlt haben wie die Menschen in der babylonischen Gefangenschaft vor zweieinhalb Tausend Jahren. Aber es kam einmal der Tag, an dem das geschehen ist, was wir erhofft und ersehnt hatten. An diesem Tag sind alle unsere Zweifel vergangen, denn unsere Sehnsucht war plötzlich Wirklichkeit geworden.

Menschen, die so etwas schon einmal erlebt haben, fällt es sicher leichter, auch in Gegenwart und Zukunft zu hoffen und zu harren. Aber dass es diese Menschen gibt, kann auch für andere ein Anstoß sein, die Hoffnung und die Sehnsucht ihres Lebens nicht aufzugeben, sondern Gott zu vertrauen, dass einmal wahr wird, was sie sich von ihm wünschen - wenn es gut für sie ist. Sicher wäre es für diese Menschen hilfreich, wenn die anderen, die schon erlebt haben, dass Gott ihnen ihre Hoffnungen erfüllt hat, ihnen davon erzählen.

Ich wünsche uns allen, dass wir in unserem Leben immer wieder das erfahren, was Jesaja im Auftrag Gottes, den Gefangenen in Babylon verheißen hat: "Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden." AMEN