Predigt zum Sonntag "Lätare" - 30.3.2014

Textlesung: Jes. 54, 7 - 10

Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Liebe Gemeinde!

Sehr unterschiedlich können wir diese Prophetenworte aufnehmen: Sicher sind einige unter uns, die hören sie sozusagen nur historisch, etwa so: Zur Zeit als Jesaja diese Worte Gottes verkündet, ist das Volk Israel noch in der Verbannung in Babylon. Aber Gott wird das Volk bald befreien. Sie werden in die Heimat zurückkehren. Gottes Zorn ist verraucht. Er wird sich erbarmen und seine Gnade wird für immer über seinem Volk sein. - Und das ist dann ja auch wahr geworden.

Andere unter uns nehmen besonders die Schönheit der Worte auf und erinnern sich daran, wo sie diese Worte im Lauf ihres Lebens schon gehört haben: "...mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln." - "... mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser." Wie schön das klingt! Wie gut tun einem solche Worte am Sonntagmorgen. Und dieser Vers: "Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer." War das nicht damals der Konfirmationsspruch unserer Tochter oder unseres Enkelkinds. Und bei der Goldenen Hochzeit der Schwägerin und des Schwagers hat der Pfarrer auch über diesen Vers gesprochen.

Nein, es ist nichts dagegen zu sagen, die Worte des Propheten so oder so aufzunehmen. Allerdings wird das diesen Versen nicht ganz gerecht. Denn es liegt noch viel mehr in ihnen. Anders gesagt: Wir müssen uns nicht damit zufrieden geben, dass sie uns etwas über die Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk während der babylonischen Verbannung sagt - kurz vor dem Ende dieser dunklen Zeit. Und es kann auch nicht alles sein, dass wir die Verse schön finden und uns an kirchliche Familienfeste erinnern, bei denen sie uns schon einmal begegnet sind. Wir können sie auch als ein persönliches Versprechen Gottes an uns hören und als Zusage seiner Barmherzigkeit für uns verstehen. - Ich will erklären, was ich meine:

Wir denken uns einmal - und das ist ja gar nicht so abwegig - heute Morgen sitzt eine Frau hier unter uns, die sich große Sorgen macht. Der Gesundheitszustand ihrer Mutter ist in den letzten Wochen immer schlechter geworden. Sie pflegt sie schon seit Jahren, aber es wird zunehmend schwierig. Sie kann kaum noch allein bleiben. Auch heute konnte die Frau nur in die Kirche gehen, weil eine freundliche Nachbarin nach der Mutter sieht. Die Frau hat Angst, dass sie die Pflege bald nicht mehr bewältigen kann. Und sie spürt, dass sie manchmal schon einen richtigen Zorn auf die Mutter entwickelt. Dabei kann die Mutter ja gar nichts dafür, dass sie so ist, wie sie ist.

Heute Morgen wollte die Frau hier in der Kirche so gern ein tröstliches Wort hören. Ein Wort, das ihr Kraft gibt, die kommende, sicher schwerer werdende Zeit zu bestehen. Aber konnte sie solch ein Wort heute Morgen hören?

Ich glaube, besser als gerade heute bei diesen Jesaja-Versen hätte es die Frau gar nicht treffen können. Denn hier ist mehr als Trost! Hier ist eine Zusage, ein Versprechen Gottes, ja, es sind gleich einige Versprechen an sie: "Mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln!" - "Mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen!" - "Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!" Und das alles ist sozusagen unterschrieben mit: "der HERR, dein Erbarmer".

Liebe Gemeinde, ich will noch einmal ganz deutlich machen, worum es mir geht: Die Worte der Heiligen Schrift sind nicht nur Bericht oder Erzählung, wie es einmal - vielleicht vor zwei- oder dreitausend Jahren in Israel oder in Babylon zugegangen ist. Sie sind auch nicht nur aufgeschrieben, dass wir heute sagen können, wie schön sie doch klingen und dass sie uns an eine Konfirmation oder eine Goldene Hochzeit erinnern, wo sie schon einmal zu hören waren. Die Worte der Bibel wollen unser Herz erreichen, gerade heute, gerade in der Lebenslage, in der wir sind, den Schwierigkeiten, den Sorgen oder auch der Freude, die wir gerade empfinden und den Ängsten oder Hoffnungen, die uns gerade die Seele schwer oder leicht machen. - Wie heißt es vom Wort Gottes bei eben demselben Propheten Jesaja, dessen Verkündigung wir heute bedenken: "So soll das Wort, das aus meinem Munde geht, sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende." (Jes.55,11)

Das darf die Frau, von der ich eben gesprochen habe, ganz persönlich nehmen. Gottes Wort an sie heißt: Meine Barmherzigkeit ist mit dir! Ich will mich deiner erbarmen. Ich schenke dir meine Gnade und die wird nicht von dir weichen! Du wirst bei der Pflege deiner Mutter meinen Beistand haben. Jeden Morgen neu will ich dir genug Kraft schenken, dass du alles bewältigen kannst, was die Pflege und Zuwendung zu deiner Mutter von dir verlangt. Das ist meine Zusage, mein Versprechen an dich! Verlass dich darauf: Mein Wort wird tun, was mir gefällt und es wird ihm gelingen, wozu ich es gesandt habe.

Aber ich will noch von einem Mann sprechen, der auch heute Morgen hier unter uns sitzen, mit uns singen, beten und jetzt auf die Predigt hören könnte. Er hat vor Tagen nach einer ärztlichen Untersuchung eine harte Diagnose gesagt bekommen. Seitdem macht er sich viele Gedanken, denn seine Krankheit ist lebensbedrohlich und er wird eine lange Therapie auf sich nehmen müssen, die mancherlei Einschränkungen von ihm verlangt und ohne eine Operation wird es auch nicht abgehen. Ob er die Zeit, die auf ihn wartet, wohl bestehen wird? Ob nicht der Tag kommt, an dem er sagen muss: "Ich kann nicht mehr!?" - Auch ihm gelten heute Morgen diese Versprechen Gottes: "Mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln!" - "Mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen!" - "Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!" Und auch für ihn hat Gott seine Worte so unterschrieben: "der HERR, dein Erbarmer".

Das darf der Mann für sich persönlich nehmen. Gottes Wort an ihn heißt: Meine Barmherzigkeit ist mit dir! Ich will mich deiner erbarmen. Ich schenke dir meine Gnade und die wird nicht von dir weichen! Du wirst stark genug sein, die Zeit der Therapie durchzuhalten. Und wenn du operiert werden musst, will ich dich auch in den schwersten Stunden nicht alleine lassen. Du wirst meine Nähe spüren und gesund werden. Das ist meine Zusage, mein Versprechen an dich!

Liebe Gemeinde, der einen oder dem anderen gehen jetzt ganz gewiss verschiedene Fragen durch den Kopf. Eine davon ist diese: Kann man sich denn wirklich darauf verlassen, dass Gott seine Versprechen hält? Ich sage dazu ein klares Ja! Wir dürfen uns darauf verlassen! Gottes Wort kehrt nicht leer zu ihm zurück, sondern tut, wozu er es sendet! Aber ich will, ja, ich muss noch etwas anderes dazu sagen: Wir sprechen hier über Dinge des Glaubens und nicht über Garantien oder sozusagen vertraglich geregelte Bedingungen: Du tust das, dann tue ich für dich das. Oder: Ich gebe dir jenes, dafür kriege ich dann von dir..." In Sachen des Glaubens geht es immer um Vertrauen. Woher wissen wir, dass Jesus Christus auferstanden ist? Wir wissen es überhaupt nicht, aber wir vertrauen darauf. Wie können wir sicher sein, dass Gott Schuld vergibt? Wir können nicht sicher sein, aber darauf vertrauen können wir. Wie kann die Frau, von der ich erzählt habe, gewiss sein, dass sie die Pflege der Mutter bewältigt? Sie kann nicht gewiss sein, aber sie darf darauf vertrauen. Kann der Mann, der in die lange Therapie geht, erwarten, dass er am Ende gesund sein wird? Er kann nichts erwarten, aber er soll Vertrauen haben.

Eine andere Frage, die manche jetzt stellen, heißt: Ist das eigentlich angemessen, wenn wir Texte, die zweieinhalbtausend Jahre alt sind, so auf uns beziehen, dass wir sagen: Gott hat mir zugesagt, er hat mir versprochen...? Auch hier sage ich ein klares Ja! Für was sollen alte biblische Texte denn gut sein, wenn ich sie nicht so verstehe, dass sie auch mich meinen? Warum soll ich etwa Jesu Worte lesen, warum seine Gleichnisse hören, wenn sie nur mit den Menschen damals gesprochen haben und nicht auch mit mir sprechen wollen? Ja, die ganze Bibel hätte mir doch nichts zu sagen, wenn ihre Botschaft nur den Menschen gegolten hätte, die sie zuerst gehört haben.

Ich will die Botschaft der Verse des Jesaja noch einmal für uns alle sagen, für jede und jeden von uns, in die Gedanken, die Sorgen und Ängste, die uns heute bewegen oder auch in die Freude hinein, die wir heute empfinden: Uns allen gelten heute und immer diese Versprechen Gottes: "Mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln!" - "Mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen!" - "Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!" Und auch für dich und mich hat Gott seine Worte so unterschrieben: "der HERR, dein Erbarmer". - Wir dürfen darauf vertrauen! AMEN