Predigt zum 2. So. nach Epiphanias - 19.1.2014

Textlesung: Hebr. 12, 12-17.(18)

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.

Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden; dass nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte.

Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.

(Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte und der mit Feuer brannte, und nicht in Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter.)

Liebe Gemeinde!

Neulich wurde ein Pfarrer von einem Gemeindeglied gefragt: "Wie viele Tiere nahm Mose mit in die Arche?" Der Pfarrer überlegte einige Sekunden und sagte dann - wie vom Frager erwartet: "Das weiß man nicht genau, wir wissen nur, dass es von allen Tieren ein Pärchen war!"

Was hätten sie geantwortet? Hätten Sie auch nicht gewusst, wie viele Tiere es gewesen sind? Dabei hätten Sie bestimmt die richtige Antwort geben können, da bin ich sicher. Diese Antwort wäre nämlich: "Es war nicht Mose, sondern Noah, der die Arche gebaut hat!" Darum war schon die Frage falsch. Sie hätte heißen müssen: "Wie viele Tiere nahm Noah mit in die Arche?"

Aber was will ich damit sagen? Warum habe ich Ihnen das erzählt?

Wie oft werden wir als Hörer einer Predigt mit einem Hinweis konfrontiert, der sich auf eine biblische Begebenheit bezieht, die wir gut kennen, nicht so gut kennen oder die uns noch nie begegnet ist. Gewiss, in meiner kleinen Geschichte vom Pfarrer, der von seinem Gemeindeglied nach der Zahl der Tiere in Moses Arche gefragt wird, hat nur nicht genau auf die Frage geachtet hat. Selbstverständlich hätte er von Noah und dem Bau der Arche erzählen können. Denn wer auch nur ein wenig "biblisch" gebildet ist, der wird diese Geschichte kennen. Anders wäre es sicher gewesen, wenn wir weniger bibelfeste Menschen gefragt hätten - und das ganz ohne die Fußangel, den Archebau dem Mose zuzuschreiben.

Für mich ist das heute einigermaßen erschreckend, wie wenig etwa junge und jüngere Leute die Geschichten der Bibel kennen. Dabei weiß ich schon, dass die Zeiten vorbei sind, in denen sich abends die Familie bei Kerzenschein versammelt hat, um ein Stück aus der Heiligen Schrift zu lesen. Genauso ist es nicht mehr üblich, die Kinder am Sonntagmorgen in den Kindergottesdienst zu schicken. Und den Kindern noch bevor sie lesen können, eine Kinderbibel mit vielen erklärenden Bildern zu schenken, ist auch nicht sehr verbreitet. Jetzt könnte man sagen: Zum Glück gibt es in der Schule den Religionsunterricht. Da wird ja wenigstens noch in der Bibel gelesen und da werden die biblischen Geschichten besprochen. Aber da muss ich entgegnen: Nicht jeder Religionslehrer, nicht jede Religionslehrerin hält es mit einem solchen biblischen Unterricht! Oft werden mehr bestimmte Themen behandelt, die für Kinder interessant sind oder die sie beschäftigen, also vielleicht "Angst" oder "Freundschaft", "Armut" oder "Bewahrung der Natur". Sicher ist das auch wichtig, aber von der Bibel und ihrem Inhalt erfahren die Kinder dabei nicht unbedingt etwas.

Aber ich glaube, jetzt wird es Zeit, dass ich selbst wieder zur Bibel zurückfinde und endlich sage, was mich zu diesem Ausflug über die mangelhafte Kenntnis biblischer Geschichten angeregt hat: In den Versen aus dem Hebräerbrief, die wir heute bedenken, heißt es: "...dass nicht jemand sei ein Abtrünniger oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte."

Keine Angst, ich will jetzt niemanden persönlich fragen, ob er denn die hier angesprochene Geschichte kennt. Aber hier wird deutlich, worum es mir geht: Wenn wir keine Ahnung von der Geschichte vom "Linsengericht", wie sie auch genannt wird, haben, dann können wir nicht begreifen, was der Schreiber des Hebräerbriefs uns sagen will. Mit anderen Worten: Oft steht und fällt die Chance, dass uns eine Predigt anspricht und im Herzen erreicht, damit, ob wir die biblischen Anspielungen verstehen weil wir den Ursprung der Anspielungen kennen.

Ganz nebenbei handelt es sich bei diesen Anspielungen nicht nur um Hinweise, Predigten verstehen zu können. Oft ist es auch in ganz weltlichen Vorträgen oder Gesprächen so, dass ein biblischer Bezug erwähnt wird. Vielleicht sagt einer: "Das ist ja wie beim Turmbau zu Babel." Oder: "Jetzt kann uns nur noch ein Wunder wie bei der Hochzeit zu Kana helfen." Oder: "Nimm den Mund nicht so voll. Denk' an Petrus am Vorabend des Karfreitags." Mit solchen Sätzen wird nur einer etwas anfangen können, der weiß, dass die Arbeiter beim babylonischen Turmbau einander nicht verstanden haben, weil Gott ihre Sprache verwirrt hat. Und nur wer weiß, dass Jesus auf der Hochzeit zu Kana aus Wasser Wein gemacht hat, ahnt, wie groß das Wunder sein muss, das helfen kann. Schließlich wird nur einer, dem bekannt ist, dass Petrus am Vorabend des Karfreitags Jesus dreimal verleugnet hat, verstehen, was man ihm sagen will. Wir können also behaupten, es ist auch im täglichen Leben wichtig, die biblischen Geschichten im Kopf und hoffentlich im Herzen zu haben. Ja, es gehört geradezu zu unserer Kultur, auch biblisch gebildet zu sein.

Aber kehren wir jetzt zurück zu unserer Predigt über die Verse aus dem Hebräerbrief: Wenn wir von Esau hören, dann sollte uns auch der Name Jakob einfallen. Das war nämlich der Bruder Esaus. Und er war ein Schlitzohr. Er hat - als Esau hungrig von der Jagd nach Hause kam - dem Bruder einen Handel angeboten: Du gibst mir deine Rechte aus deiner Erstgeburt. Ich gebe dir dafür die Linsensuppe, die ich gerade zubereitet habe. Es war sehr leichtfertig, dass Esau auf den Handel eingegangen ist. Der Erstgeborene zu sein, bedeutete, zum Erbe des Vaters auch noch den Segen zu bekommen. Hier hat also ein Mensch für eine Speise, auch noch ein ganz einfaches Linsengericht, alles weggeworfen, was ihm nach dem Recht Gottes und der Menschen zugestanden hätte. Deswegen wird Esau hier auch als gottlos bezeichnet. Und deswegen waren die Folgen auch so, wie es hier geschrieben steht: "Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte." Esau konnte nicht wieder gewinnen, was er, als er hungrig war, in einem Augenblick gedankenlos verspielt hatte. Den Segen und das Recht der Erstgeburt hatte ihm der Bruder ein für allemal genommen.

Liebe Gemeinde, noch sind wir ja am Beginn des neuen Jahres, und es ist noch die Zeit der Vorsätze. Zwei Vorsätze sind es, die wir heute von dieser Predigt mitnehmen könnten. Der erste ist dieser: Dass wir in Glaubensdingen behutsam vorgehen. Dass wir nicht um eines kleinen momentanen Vorteils willen, das, was uns immer wichtig war und getragen hat, aufgeben. Dass wir vielmehr unsere religiösen Wurzeln achten und wertschätzen und bei ihnen und in ihnen fest bleiben und nicht denen nachlaufen und anhängen, die predigen und verkündigen, was dem Zeitgeist entspricht und gerade Konjunktur hat. In manchen Gegenden unseres Landes, in denen die Zeit noch ein wenig langsamer vergeht, heißt es, wenn die Menschen nach ihrem Glauben gefragt werden: "Wir bleiben bei dem, was wir gelernt haben!" Das mag sich vielleicht stur und sogar starrsinnig anhören. Aber es ist, solange wir religiös keine bessere Heimat gefunden haben, ganz gewiss die richtige Entscheidung. So kann wahr werden, was uns der Schreiber des Hebräerbriefs wünscht: "...stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde."

Der zweite Vorsatz könnte dieser sein: Geben wir der Bibel wieder eine größere Bedeutung in unserem Leben. Nehmen wir sie hin und wieder zur Hand und lesen ein Stück - wenn unser Ehepartner und die anderen Familienmitglieder sich auch darauf einlassen, wird uns das gemeinsam eine gute Erfahrung schenken. Als Eltern führen wir unsere Kinder wieder früh heran an die wunderbaren Geschichten der Heiligen Schrift. Erzählen wir ihnen diese Geschichten. Lesen wir ihnen davon aus geeigneten Kinderbibeln vor. Es gibt viele gute Beispiele für solche Bibeln! Als Großeltern schenken wir unseren Enkelinnen und Enkeln nicht immer wieder nur Spielzeug - meist haben die Kinder sowieso schon genug davon. Überraschen wir sie mit einer schönen Kinderbibel oder einer Kassette oder CD mit biblischen Geschichten. Auch hier gibt es viel Auswahl!

Und sollten Sie einmal vor ihren Kindern oder Jugendlichen einen Satz gebrauchen wie: "In deinem Zimmer herrscht ja das reinste Tohuwabohu!", dann erklären Sie ihnen auch, was das bedeutet. Bevor Gott die Welt gemacht hat und all die wunderbaren Dinge der Schöpfung, war nämlich auf der Erde "Tohuwabohu", was nichts anderes heißt als: Sie war wüst und leer, unaufgeräumt und es herrschte das blanke Chaos! - Ich weiß nicht, ob Ihre Kinder dann aufräumen, ich weiß aber, dass eine solche Erklärung ihre biblische und kulturelle Bildung hebt. AMEN