Predigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis - 18.8.2013

Textlesung: Mk. 8, 22 - 26

Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf!

Liebe Gemeinde!

Gleich zwei Dinge, von denen eigentlich nichts in diesen Versen steht, muss ich heute ansprechen. Zuerst dies: Haben wir bis heute vielleicht gedacht, dass die Texte und Geschichten, wie sie die Evangelien erzählen, zeitlich genauso hintereinander gehören, wie sie im Evangelium aufeinander folgen, dann müssen wir spätestens heute umdenken. Alle Evangelien sind sozusagen Kompositionen, auch, ja vielleicht besonders das Evangelium des Markus. Er macht sich seine eigenen Gedanken zu den Texten und Geschichten, die ihm vorliegen. Und er setzt sie in einer Reihenfolge zu einem Ganzen zusammen, dass ein Text den anderen und eine Geschichte die andere oft kommentiert und ergänzt und auch die Meinung des Evangelisten zu dem, was er schreibt, verdeutlicht.

Und damit hat das zweite zu tun, dass ich ansprechen will - und dabei wird es jetzt ganz konkret: Die Verse, die wir vor denen lesen können, die wir heute bedenken sollen, erzählen davon, dass die Anhänger des Herodes und die Pharisäer ein Zeichen von Jesus verlangen, das ihn als den erwarteten Messias beglaubigt. Jesus aber will ihnen kein Zeichen geben, denn er fordert Glauben von ihnen und dass unser Glaube richtig ist, dafür gibt es keine Beweise.

Dann aber - auch noch vor der Geschichte von der Heilung des Blinden - zeigen Jesu Jünger, dass sie ihrem Herrn auch nicht mehr Glauben und Vertrauen entgegenbringen, als es die Pharisäer tun: Mehrfach jammern sie darüber, dass sie kein Brot mehr hätten und nun hungern müssten, bis sie wieder welches kaufen könnten. Das gibt Jesus die Gelegenheit, seine Jünger daran zu erinnern, was sie bei der Speisung der Fünftausend erlebt haben. Er fragt sie: "Als ich die fünf Brote für die Fünftausend brach, wie viele Körbe voll Brotstücke habt ihr da aufgesammelt?" Und sie antworten: "Zwölf". Und so war es ja auch. Und trotzdem machen sie sich Gedanken, dass sie kein Brot mehr haben. Darum fragt Jesus weiter: "Begreift und versteht ihr immer noch nicht? Ist denn euer Herz verstockt?"

Ich denke, wir verstehen, was Jesus meint: Wer mit mir unterwegs ist, der muss sich keine Sorgen um Brot machen. Und wir verstehen jetzt auch, warum Markus genau an dieser Stelle die Geschichte von der Heilung des Blinden folgen lässt: Genauso blind wie dieser Mensch, so will er sagen, waren auch die Jünger, denn Blindheit des Herzens nennt die Bibel Verstockung. Ja, der Evangelist geht noch weiter und sagt uns damit, dass er die Jünger, die doch schon so viele Zeichen und Wunder Jesu erlebt haben, ganz und gar nicht verstehen kann. Es ist die Art, in der er die Geschichte von der Blindenheilung erzählt, die das deutlich macht: "Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht..." Wo im Neuen Testament hätten wir das sonst gelesen, dass Jesus sozusagen einen zweiten Versuch braucht, bis er einen Kranken oder Behinderten gesund machen kann? Nirgends! Darum glaube ich, dass sich hier Markus auf seine Weise über die Jünger äußert und ich kann förmlich sehen, wie er dabei den Kopf über sie schüttelt: "Ihr seid wahrlich verstockte Gesellen und wenigstens hin und wieder besonders schwierige Fälle! Wenn Jesus euch einmal zeigt, dass er die Macht über alle Menschen und Dinge hat, genügt euch das nicht. Euch einmal die Hände auflegen, macht euch nicht sehend. Da muss sich Jesus noch einmal bemühen. Was seid ihr nur für kleingläubige Leute!" Und wenn wir am Ende der Heilungsgeschichte lesen: "Der Blinde wurde wieder zurechtgebracht", dann wird es ganz klar, dass der Evangelist eigentlich auf die Jünger anspielt, die es anscheinend wirklich nötig hatten, wieder zurechtgebracht zu werden.

Liebe Gemeinde, wenn Sie meinen Gedanken zu dieser Geschichte bis hierhin folgen konnten, fragen Sie sich jetzt vielleicht, ob wir wohl auch gemeint sind, wenn Markus von dieser hartnäckigen Verstockung von Menschen spricht, die Jesus doch als Heiland kennengelernt haben? Mit der Geschichte gefragt: Müsste Jesus uns wohl auch mindestens zweimal die Hände auflegen, dass wir wieder sehen oder sagen wir besser, dass wir wieder glauben können und zurecht gebracht werden.

Da werden jetzt wir auf Anhieb sicher erst einmal den Kopf schütteln! Wir sind doch nicht verstockt! Wir glauben doch an Jesus Christus und haben Vertrauen zu ihm. Wenn er bei uns gewesen wäre, wir hätten gewiss nicht um Brot gejammert! Wir wissen doch dass er das Brot des Lebens ist und dass wir niemals hungern müssen, wenn wir nur ihn haben!

Ich will das nicht in Zweifel ziehen, aber ich will auf die andere Seite dessen hinweisen, was uns vielleicht zuerst empört: Kennen wir nicht auch die Stunden, die Tage, ja, sogar die Zeiten, in denen uns Jesus, wie wir meinen, verlassen hat? Wenn alles um uns herum dunkel ist. Wenn wir ihn nicht mehr sehen können. Wenn wir blind sind für alles Gute und Schöne und die ganze Welt finster und schwarz erscheint.

In der Trauer ist das so. Wenn ein Mensch, den wir liebhatten, gestorben ist und er, sein Wort und sein Zuspruch, uns fehlt. Wenn wir gar nicht mehr wissen, wie es ohne ihn weiter gehen soll, weil er uns doch so nötig war, wir uns in seiner Nähe so wohlgefühlt haben und so geborgen. Das sind auch Zeiten, in denen wir gar nicht nach vorn blicken wollen in eine Zukunft, in der er doch nicht mehr bei uns sein wird, nie mehr. - In solchen Zeiten wäre es gut, wenn Jesus uns wieder die Hände auf die Augen legt und uns die Augen wieder öffnet, dass wir auch das sehen können, was uns an Gutem bleibt - trotz allem und was an der Welt und an unserem Leben doch auch noch schön ist und dankenswert.

Manchmal kommen in unserem Leben auch Krisen, in denen es unser Glaube schwer hat und uns das Vertrauen zu unserem Herrn ausgeht. Vielleicht sind es die abfälligen Bemerkungen eines Kollegen, der sich darüber lustig macht, dass wir uns zur Kirche halten? Oder wir können all die persönlichen Schicksalsschläge, die uns treffen, nicht mehr mit der Güte Gottes reimen. Bei anderen sind es die immer häufiger auftretenden Naturkatastrophen, die sie an der Liebe Gottes irre werden lassen. Bei alledem kann es sein, als würde eine Blindheit über uns fallen. Wir können Gottes Wirken in der Welt und unserem Leben nicht mehr sehen. Wir können hinter allem, was geschieht, was wir erleben und erleiden, seine gütige Hand nicht mehr erkennen. Wir haben die Spur Jesu, der wir früher immer gefolgt sind, verloren und so sehr wir uns auch mühen, wir können sie nicht mehr finden. - Wie gut wäre es, Jesus legte uns dann neu die Hände auf machte uns wieder sehend und brächte uns wieder zurecht. Denn unser Glaube ist stärker als die abfälligen Bemerkungen, die wir hören müssen. Und auch in Schicksalsschlägen hält uns der Herr an der Hand, wir dürfen nur die seine nicht loslassen. Und selbst in Naturkatastrophen sind die Menschen bewahrt bei dem, der auch dem Tod gebietet und ein Gott des Lebens ist, auch des ewigen Lebens.

Schließlich gibt es auch das: Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend ganz nah bei Gott waren, die an Jesus Christus geglaubt haben, nehmen eine Entwicklung, bei der ihnen Gott und der Glaube mehr und mehr abhanden kommt. Ganz unmerklich wird ihre Beziehung zu Jesus lauer und kälter. Sie beten nicht mehr jeden Tag. Ganz selten nur noch kommt ihnen ein Gedanke über den Sinn ihres Lebens. Schließlich gehen sie ganz auf in einem Leben, das nur noch nach dem fragt, was es äußerlich ausmacht: Geld und Einkommen, Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Freizeit und Zerstreuung... - Auch da wäre es gut, Jesus öffnete ihnen neu die Augen, dass sie neu nach dem suchen, was das Leben in seiner Fülle ausmacht: Nach dem Glauben, der sie einmal bestimmt und geleitet hat. Nach der Liebe, die Gott liebt und den Mitmenschen so, wie man sich selbst liebt. Nach der Hoffnung, die sich nicht mit den paar Jahren in dieser Welt zufrieden gibt, sondern hinüberschaut in Gottes neue Welt, in der uns Jesus Christus einen Platz bereitet hat.

Ich glaube, Markus hat schon recht, wenn er sich über die verstockten Jünger wundert und sie mit einem Blinden vergleicht, zu dessen Heilung Jesus zwei Versuche braucht. Und ich finde, wir sollten uns auch nicht darüber ärgern, wenn wir heute mit dieser Geschichte konfrontiert werden und vielleicht erkennen müssen, dass auch wir manchmal schon verstockt und blind waren und unser Glaube unsicher geworden ist. Wäre es nicht viel schlimmer, wenn Jesus uns aus solchen Zeiten nicht auch wieder herausholen und uns neu die Augen öffnen und uns heilen würde? AMEN