Predigt zum Heiligen Abend    -    24.12.2012

(Predigt ist für die Christvesper, eher aber für die Christmette, aber auch für die Christtage geeignet)

Textlesung: Jh. 7, 28 - 29

Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.

Liebe Gemeinde!

Was haben diese zwei Verse mit Heiligabend zu tun? Wenig oder gar nichts, werden Sie sagen. Aber sie sind uns für heute Abend verordnet, dass wir über sie nachdenken. Und es gibt wirklich einen Bezug zu der Geschichte, die wir heute gelesen und gehört haben, die von Jesu Geburt im Stall von Bethlehem. Aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich diesen Bezug entdeckt habe.

Der erwachsene Jesus - so berichten es diese beiden Verse aus dem Johannesevangelium - war offenbar gefragt worden, wo er eigentlich herkommt. Das war so ähnlich, wie wenn wir als Eltern fragen, wo denn die zukünftige Schwiegertochter oder der Schwiegersohn her ist. Wir meinen damit: Aus welcher Familie stammen sie? Ist es eine gute Familie? Wo wohnen die Eltern? Und noch einiges mehr wollen wir dann wissen.

Warum fragen wir so? Weil wir meinen, wenn das Elternhaus gut ist, dann werden es die Kinder, die darin aufgewachsen sind, auch sein. Wir wissen es doch: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. So sagt es schon das Sprichwort. Und unser Sohn, unsere Tochter werden ganz bestimmt gleich antworten: Er oder sie kommt aus der und der Familie! Der Vater ist ..... die Mutter arbeitet bei ...... Und selbstverständlich werden wir nur Gutes zu hören bekommen! - So weit, so gut.

Wenn wir jetzt noch einmal die Verse aus dem Johannesevangelium lesen, dann fällt uns gewiss etwas auf: "...nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt. Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt." Jesus antwortet ganz anders! Er gibt keine Auskunft über Vater und Mutter. Im Gegenteil! Er bestätigt die Frager noch darin, dass sie seine Herkunft, den, der ihn gesandt hat, nicht kennen! Und da, genau da wird uns deutlich, was diese zwei Verse mit Heiligabend zu tun haben:

Nur in diesem Jesus erkennen wir, wer und wie der ist, der ihn gesandt hat. Es ist also genau umgekehrt wie bei Schwiegersohn und Schwiegertochter: Jesu Vater bleibt im Hintergrund. Nicht weil dieser Vater so oder so, reich oder arm ist, da oder dort wohnt, begreifen wir, wer das Kind in der Krippe ist. Sondern wenn wir das Kind in der Krippe sehen und verstehen, dann wissen wir, wie sein Vater ist. Wir müssen also nur genau hinschauen auf das Geschehen dieser Heiligen Nacht, dann wissen wir sehr viel über den Vater Jesu. Nicht alles, aber genug. Und hinschauen, das wollen wir jetzt tun:

Auf den ersten Blick haben wir vielleicht den Eindruck, es wäre eigentlich immer wieder dasselbe, was wir über den himmlischen Vater Jesu erkennen: Die irdischen Eltern Jesu sind bettelarme Leute. Nicht einmal eine Herberge gab es für sie. Eine hochschwangere Frau musste ihr Kind in einem Stall zur Welt bringen. Für das Kind gab es nur eine Futterkrippe als Bettchen. Die ersten Gäste an der Krippe sind Hirten, die verachtetsten Leute - und ausgerechnet zu ihnen ist der Engel gekommen, der Jesu Geburt verkündigt hat. Und da sind auch noch die drei Sterndeuter, die waren nicht besser angesehen als das Hirtenvolk!

Was ist das also, was wir in der Heiligen Nacht sehen und über den Vater Jesu erfahren? Er hat einen Hang zu den Armen, den Elenden, den Schwachen, den Randsiedlern, den Außenseitern, den Verachteten... Und wenn wir die kurzen Jahre anschauen, die Jesus später als Mann in Palästina gewirkt, gepredigt und geheilt hat, dann wird es uns klar: Es ist in seinem Erdenleben immer so weiter gegangen, wie es im Stall von Bethlehem begonnen hat. Mit ganz einfachen Leuten, den Jüngern, ist er durch das Land gezogen. Mit Zöllnern und Dirnen hat er sich an den Tisch gesetzt. Kranke und Behinderte hat er gesund und heil gemacht. Und schließlich hat er den Tod zwischen zwei Verbrechern gefunden. So spricht auch sein kurzes Leben auf dieser Erde dafür, dass er selbst - wie schon sein Vater - diesen Hang zum Einfachen und Elenden, zu den Schwachen und Ohnmächtigen, den Kranken und Behinderten hatte. Und durch diesen Hang zum Geringen, wie wir ihn an ihm sehen, werden die Züge des Bildes seines himmlischen Vaters deutlich.

Aber, wenn wir ein bisschen tiefer blicken, dann sehen wir, dass es noch viel mehr ist, was Jesus uns über seinen himmlischen Vater offenbart - und auch das können wir schon an den Ereignissen im Stall von Bethlehem ablesen: Da ist vor allem die Liebe Gottes, die wir in der Geburtsgeschichte Jesu mit Händen greifen können! Wie muss das einem Vater (diesem Vater!) schwer gefallen sein, den einzigen Sohn in dieses Elend hineinzugeben: Ein Stall, ein Futtertrog, die ganze Ärmlichkeit dieser Szene... Ziehen wir einmal den Engelsgesang über dem Stall und all dem Goldglanz, wie ihn die Maler für ihre Bilder erfunden haben, vom Geschehen dieser Geburt ab, dann wird es klar: Nur die übergroße Liebe eines Vaters zu allen Menschen kann die ganze Erbärmlichkeit ertragen, in die Gott sein Kind sendet.

Aber dieser Vater zeigt auch eine große Treue zu seinen Menschen: Schon lange war der Heiland angekündigt von den Propheten: "Und du, Bethlehem, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei!" (Mich. 5,1) "Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen." (Jes.11,1) "Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will." (Jer. 23,5) Seit allen Prophezeiungen der Propheten sind hunderte von Jahren vergangen. Sicher hätte Gott tausend Gründe gehabt in dieser Zeit, die verderbte, aufrührerische Menschheit, die sich seit der Sintflut keinen Deut gebessert hat, von der Erdoberfläche zu tilgen. Gott aber ist treu geblieben und hat im Stall von Bethlehem mit Jesus seine Verheißungen wahr gemacht. Und in großer Treue hält er auch später am Auftrag für seinen Sohn fest: Durch Leiden und Sterben die Menschen von Tod und Sünde zu erlösen. Und Jesus geht, wie es ihm beschieden ist, in Treue den Weg bis ans Kreuz.

Dann könnten wir noch am kurzen Leben Jesu Gottes Verlässlichkeit erkennen. Und eine väterliche Güte, die uns nicht so bestraft, wie wir es verdient haben, sondern schon den ehrlichen Versuch belohnt, seinen Geboten zu gehorchen, freundlich und barmherzig mit den Nächsten umzugehen. Eine Güte, die Verständnis dafür hat, dass uns das nicht immer gelingt. Und schließlich sehen wir in Gottes Umgang mit uns, eine schier übergroße Geduld, die uns noch und noch Gelegenheiten gibt, unser Leben zu ändern, in die Spur Jesu zu treten und ihm nachzufolgen.

Alles das und noch viel mehr ist schon im Stall von Bethlehem vorgezeichnet und zu spüren. Alles das und noch viel mehr über seine Herkunft, über den Vater Jesu erfahren wir, wenn wir uns in die Geschichte des kurzen Erdenlebens Jesu vertiefen, sehen, was er getan hat, mit wem er zu tun haben wollte, wie er zu den Menschen gesprochen und gepredigt hat. Am wichtigsten dabei ist allerdings das Ende des Weges in dieser Welt, den das Kind, dessen Geburt wir heute feiern, gehen muss. Dort - auf Golgatha - scheint noch einmal viel stärker und bedeutungsvoller die Liebe Gottes auf, seine Verlässlichkeit, seine Güte und Geduld mit uns, seinen Menschenkindern.

Ich weiß, wir feiern heute Jesu Geburt, einen Tag der Freude, ein fröhliches Fest... Aber es bleibt dabei: Erst am Ende des Weges Jesu vollendet sich unsere Erlösung. Erst unter seinem Kreuz erkennen wir ganz, was der himmlische Vater uns mit diesem Jesus für ein Geschenk macht! Erst dann soll aus der Freude der Weihnacht die ewige Freude werden. AMEN