Predigt zum Sonnt. "Misericordias Domini" - 22.4.2012

Textlesung: 1. Petr. 5, 1 - 4

Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde. So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.

Liebe Gemeinde!

Immer wieder einmal ist mir ein Denken begegnet, das ich einfach nicht gutheißen kann. Und es wurde nicht nur "gedacht", sondern auch entsprechend geredet. Was ich meine, ist die Ansicht, wir wären in der Kirche und der Kirchengemeinde - doch alle gleich und es wäre kein Unterschied zwischen einer Pfarrerin und einem einfachen Gemeindeglied, zwischen einem Propst und einem Kirchenvorsteher, zwischen dem Bischof und einem Jugendlichen aus der Jungen Gemeinde. Bevor Sie jetzt protestieren und fragen, ob wir denn wirklich als Christen nicht alle gleich sind, will ich deutlicher sagen, wie ich das meine:

Selbstverständlich haben wir vor Gott die gleiche Würde, sind bei ihm gleich geliebt und unser Herr ist nicht mehr Herr und Heiland für die einen als für die anderen! Keiner hat also Grund, auf den anderen herabzuschauen. Niemand darf den anderen ansehen, als bliebe der in seinem religiösen oder menschlichen Wert weit hinter ihm zurück. Soweit bin ich also einverstanden mit der Meinung, wir wären alle gleich.

Nicht einverstanden bin ich, wenn sich einige, die von ihrem Haupt- oder Ehrenamt her in der Gemeinde eine bestimmte Leitungs- oder Verkündigungsaufgabe haben, dann, wenn es ihnen passt, als gleich oder "auch nichts anderes" oder mit "auch nur ein Mensch" bezeichnen. Und wenn es ihnen passt, das ist z.B. dann, wenn sie in ihrem Amt auf irgendeine Weise versagt haben, wenn es Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung gegeben hat oder wenn ihnen berechtigterweise jemand vorwirft, sie hätten sich unfreundlich oder gar unchristlich verhalten. In diesen Dingen sind wir nicht gleich! Denn ein Amt in der Gemeinde Jesu Christi bedeutet immer auch eine besondere Verantwortung. Ob wir wollen oder nicht, wir werden immer genauer beobachtet als andere. Die Mitchristen prüfen und wägen das, was wir sagen und wie wir handeln, viel gründlicher, als sie das bei den anderen Gemeindegliedern tun.

Und wenn wir jetzt denken, "Das ist aber eine große Verantwortung, die kann auch ganz schön belasten!", dann wollen wir uns erinnern: Uns hat niemand gezwungen, das Amt oder Ehrenamt anzustreben und anzutreten, das wir heute haben. Ein Pfarrer, eine Pfarrerin hat jahrelang dafür studiert, dann den Beruf auszuüben. Die Kirchenvorsteher, der Propst oder ein Bischof sind für ihr Amt gewählt und wussten vorher, worauf sie sich einlassen und was von ihnen verlangt wird. Und immer wurden sie auch gefragt, ob sie die Wahl annehmen - und sie haben ja gesagt!

Jedenfalls ist es so, wenn wir das Amt angetreten haben, dass wir zwar nach unserer Würde gleich, aber nach unserer Verantwortung und Aufgabe anders sind als die anderen und dass von uns fraglos gefordert wird, Vorbild für andere zu sein.

Das meint Petrus, wenn er schreibt: "Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde."

Jetzt meinen Sie vielleicht, hier wäre die Predigt zu Ende. Es geht ja heute anscheinend nur um die Amtsträger, die "Ältesten und Mitältesten", von denen Petrus spricht. Aber nein, jetzt kommen Sie dran, liebe Mitchristen, liebe "einfache" Gemeindeglieder!

Auch dass wir Christinnen und Christen sind, ist doch eigentlich nichts anderes als ein besonderes Amt! Ich bin ganz sicher, dass Sie das auch kennen und solche oder ähnliche Sätze schon einige Male in Ihrem Leben gehört haben. Vielleicht fing das in der Konfirmandenzeit an: "Du bist jetzt Konfirmand, da kannst du dich an Fasching nicht mehr verkleiden!" Und wenig später hieß es vielleicht: "Du bist jetzt ein konfirmierter Christ, da muss man Tanzvergnügungen in der Passionszeit meiden." Und solche Sätze kennen gewiss alle, denn sie wurden uns in unterschiedlicher Form schon mehr als einmal gesagt: Du willst doch ein Christ, eine Christin sein - wie passt denn dazu, wie du da geredet, gehandelt und dich verhalten hast? Oder: Das war aber jetzt nicht besonders christlich - und du bist doch Kirchgänger!

"Besonders christlich"... Das könnte man auch umdrehen: "Christlich ist besonders!", heißt es dann. Und das trifft es genau! Damit geht es uns dann auf einmal genauso wie den Amtsträgern in der Gemeinde: Wir möchten auch nichts anderes sein, als die Menschen, die sich nicht als Christinnen oder Christen bezeichnen. Vielleicht sagen wir: Ich bin doch auch kein besserer Mensch als die anderen! Und wir haben Recht damit: Besser sind wir nicht, aber doch auch nicht gleich. Wir haben ein Amt! Wir sind eine Christin, ein Christ! Und wir haben deshalb Verantwortung, jede und jeder Einzelne von uns: Dass wir dem Ruf der Leute Jesu Christi nicht schaden. Dass wir die Sache Gottes in dieser Welt nicht mit unserem Verhalten verlästern. Dass wir den Glauben der Christen nicht als eine Sache hinstellen, die keine Verbindlichkeit hat und nicht einmal den Gläubigen selbst etwas bedeutet.

Und auch wir sind Vorbilder! An uns orientieren sich die Menschen und gerade die Kinder und Jugendlichen und ganz konkret: die Konfirmandinnen und Konfirmanden! Und ich denke, es gibt keine Pfarrerin und keinen Pfarrer, die nicht irgendwann im Konfirmandenunterricht schon gehört haben: "Was glauben Sie, wer da am Sonntag alles in der Kirche sitzt und fromme Lieder singt und wie die sich dann zu Hause im Alltag, in ihrer Familie oder der Nachbarschaft benehmen!" Wir sehen daran, dass wir auch als Christen beobachtet und geprüft werden!

Noch einmal: Wir sind Vorbilder - und auch hier gilt: ob wir das wollen oder nicht. Und etwas anderes gilt auch: Wir haben dieses Amt, Christ zu sein, freiwillig übernommen! Keiner hat uns gezwungen! Vielmehr haben wir den Glauben und alles, was damit verbunden ist, freiwillig und gern übernommen. Und auch wir haben ja dazu gesagt; das war bei unserer Konfirmation, als wir so oder ähnlich gefragt wurden: Wollt ihr zur Gemeinde Jesu Christi gehören und im Glauben an den dreieinigen Gott euer Leben führen?

So ist es auch bei den "einfachen" Gemeindegliedern so: Wenn wir das Amt eines Christen, einer Christin angetreten haben, sind wir zwar nach unserer Würde gleich, aber nach unserer Verantwortung und Aufgabe anders als die anderen, die keine Christen sind oder sein wollen. Und auch von uns fraglos wird verlangt, ein Vorbild für andere zu sein.

Die Worte des Petrus, die er an die Ältesten richtet, könnten wir für alle Christinnen und Christen vielleicht so sagen: "Benehmt euch immer so, dass man eurem Reden abhört und eurem Handeln absieht, dass ihr zur Herde Gottes zählt. Euch sind die anderen Menschen, auch die, die keine Christen sind, anbefohlen; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als wäret ihr etwas Besseres, sondern als Vorbilder der anderen."

Sicher haben Sie jetzt auch schon gedacht, dass es in der übrigen Gesellschaft, etwa in der Politik, den Parteien oder in einem Verein doch gar nicht anders ist: Auch dort werden die Menschen, die an der Spitze stehen oder ein Amt übernommen haben, mit einem anderen Maß gemessen, als die einfachen Mitglieder oder Parteigenossen. Und ich finde es gar nicht verkehrt, wenn wir das uns und denen in den Ämtern auch immer wieder einmal in Erinnerung rufen und es ihnen auch sagen! Denn die Verantwortung und dass die Menschen, die führen und leiten, auch ein Vorbild sein sollen, geht oft allzu rasch in Vergessenheit. Was dann passiert, wieviel Schaden damit in der Politik, in der Partei oder einem Verein angerichtet wird, wenn die Leitenden sich nicht mehr vorbildlich verhalten, mussten wir schon oft sehen und beklagen.

Zurück zu uns und unserer Gemeinde: Wir wollen nicht in diesen Sonntag gehen mit dem Gefühl, ein Amt in der Kirche zu haben, ein Christ, eine Christin zu sein, wäre nur eine drückende Verantwortung oder eine schwere Last. Es liegt auch sehr viel Freude und sehr viel Verheißung in unserem Amt, und davon spricht Petrus auch: "Ihr werdet, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen." AMEN