Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis - 28.8.2011

Textlesung: Jh. 2, 13 - 22

Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus! Seine Jünger aber dachten daran, dass geschrieben steht (Psalm 69,10): "Der Eifer um dein Haus wird mich fressen." Da fingen die Juden an und sprachen zu ihm: Was zeigst du uns für ein Zeichen, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten. Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten? Er aber redete von dem Tempel seines Leibes. Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte.

Liebe Gemeinde!

Diese Geschichte von der "Tempelreinigung", wie sie manche von uns sicher schon aus dem Kindergottesdienst kennen, stellt zwei Fragen, über die wir nachdenken wollen. Einmal diese: Wie kommt Jesus, der doch ansonsten immer den Weg der Demut und des Friedens gegangen ist, dazu, so ganz und gar unfriedlich, sogar mit einer Geißel bewaffnet!, das seit langem übliche geschäftige Leben im Tempel zu stören? Ja, er schreckt nicht einmal davor zurück, Tische umzustoßen, den Wechslern das Geld auszuschütten und sie und die Händler mitsamt ihren Tieren gewaltsam aus dem Gotteshaus zu vertreiben. Gewiss: Wir sind gewohnt hier zu denken und zu sagen: Das musste Jesus doch tun. Es war doch das "Haus seines Vaters" und er, als der "Sohn Gottes", hatte nicht nur das Recht, nein, auch die Pflicht dazu!

Auf der anderen Seite müssen wir das schon verstehen, wenn die jüdischen Händler und Wechsler und alle anderen, die dabei waren oder davon gehört haben, ihm dieses Recht absprechen und seinen Auftritt im Tempel als schlimme Entgleisung gesehen haben!

Aber kommen wir zur zweiten Frage, wie sie die Geschichte stellt: Warum tut Jesus den Juden nicht einfach das Zeichen, das sie fordern? Damit hätte er ganz leicht sein Recht beglaubigt, sie aus dem Haus seines Vaters zu vertreiben. Denken wir doch nur an die Geschichte von dem Gelähmten, den sie vor ihm durch das Dach herabgelassen haben (Mk.2,1ff). Nachdem er dem Kranken die Sünden vergeben hat, fragen sie Jesus auch nach der Berechtigung dazu. Und er tut daraufhin das Wunder: "Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden - sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!" Das war eine klare Sache. Jeder wusste jetzt, woran er mit diesem Jesus ist.

Aber nein, Jesus scheint unbedingt dieses Rätsel anbringen zu müssen: "Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten."? Ein Rätsel auch noch, das niemand verstanden hat und wohl niemand verstehen konnte: "Da sprachen die Juden: Dieser Tempel ist in sechsundvierzig Jahren erbaut worden, und du willst ihn in drei Tagen aufrichten?"
Liebe Gemeinde, versuchen wir Antworten auf die Fragen zu finden. Wie immer soll uns dabei mehr interessieren, was wir heute zu diesen Fragen sagen müssen und nicht, wie die Juden damals vielleicht hätten antworten können oder sollen. Denn es ist eine Geschichte, die zwar von damals erzählt, die uns aber für unser Leben heute etwas lehren will.

Das war die erste Frage: Wie kommt Jesus dazu, so unfriedlich im Tempel aufzutreten? - Mir fiel dazu ein, wie gern wir doch heute in unserer Gemeinde, unserer Kirche "Ruhe und Frieden" haben wollen! Ja, es gilt als besonders schlimm, wenn "die von der Kirche" sich über irgendetwas streiten oder wenn es gar richtigen Krach gibt in der Gemeinde oder dem Kirchenvorstand.

Ich will jetzt nicht gerade sagen, dass es mir gefällt, wenn Christinnen und Christen uneins sind. Aber es ist andererseits doch ganz normal, dass Menschen unterschiedliche Meinungen haben. Warum soll das in Gemeinde und Kirche anders sein?

Ich frage mich sogar: Muss nicht gerade unter dem Dach der Kirche gestritten werden? Die Themen und Fragen, um die es dort geht, sind doch einfach viel zu wichtig, als dass wir sie nicht ausdiskutieren müssten! Und wenn ich über die Probleme nachdenke, bei denen ich schon erfahren habe, dass über sie gesprochen und unterschiedlich gedacht wurde, dann hat meiner Erinnerung nach der Streit darüber immer weniger Schaden angerichtet, als der Versuch, sie unter den Teppich zu kehren! "Nur keinen Streit vermeiden", so heißt ein aktuelles Buch über ein "Konflikttraining für Christen". Ich könnte mir vorstellen, dass unser Herr uns diese Empfehlung heute wärmstens ans Herz legen würde! Er hat den Streit nicht vermieden! Allerdings nur dort, wo es wirklich um etwas ging, was besprochen, verändert oder abgestellt werden musste. Und dazu hat es zweifellos gehört, den Tempel Gottes von einem Kaufhaus (eine andere Übersetzung sagt: "Räuberhöhle") wieder zu einem Haus des Gebets und der Besinnung zu machen.

Sie überlegen jetzt gewiss, was denn heute Themen und Zeitfragen sein könnten, über die es berechtigterweise zum Streit in Kirche und Gemeinde kommen könnte. Mir kam da einiges in den Sinn: Die verkaufsoffenen Sonntage sind so ein Thema. Und ich mache keinen Hehl daraus, dass ich bei der darüber recht erbittert geführten Diskussion auf der Seite derer bin, die den Sonntag als Tag der religiösen Besinnung, der Ruhe und der Familie erhalten möchten. Ob in den Klassenzimmern unserer Schulen ein Kreuz hängen darf, ist ein weiteres Thema. Man kann darüber so oder so denken - aber man sollte darüber nicht schweigen, sondern offen darüber reden - ohne die andere Seite verächtlich zu machen. Und es gibt auch Fragen, die mitten in die Gemeinde und ihr Leben führen, die zu Differenzen führen können: Ob wir die Konfirmandenzeit immer kürzer und vom Lernen her einfacher machen sollten und ob ein regelmäßiger Gottesdienst für die Konfirmanden dazugehört, ist dafür ein Beispiel. Hier meinen die einen, es würde sich für die Zeit nach der Konfirmation in der Teilnahme am Gemeindeleben auszahlen, wenn die Schwelle zur Einsegnung möglichst niedrig gehalten wird. Andere sagen: Die Konfirmanden tauchen nach der Konfirmation ohnedies meist für lange Zeit unter, da sollen sie wenigstens im Konfirmandenjahr etwas gelernt und für ihr Leben als Christen mitgenommen haben.

Diese Beispiele sollen genügen. Wie auch immer wir zu diesen Themen stehen, Jesus hätte uns wohl geraten, sie auf jeden Fall im Gespräch aufzunehmen und auch einen Streit über sie nicht zu scheuen. Wenn wir nur mit den Schultern zucken und schweigen, dienen wir nicht der Sache Gottes, vielmehr schaden wir ihr und es wird am Ende alles beliebig.

Die zweite Frage war: Warum Jesus nicht einfach das erbetene Zeichen tut, vielmehr diese Rätselrede vom Tempel führt, der abgerissen wird und den er in drei Tagen wieder aufrichten will? - Mag sein, die Juden damals konnten ihn nicht verstehen. Wir aber wissen, dass er vom Tempel seines Leibes gesprochen hat. Ich denke mir nun, dass es vielleicht auch gar nicht so sehr um die Tempelbesucher, um die Händler und Wechsler damals ging, sondern um uns, die davon heute lesen. Dann kommt es darauf an, dass wir dem Rätsel bzw. seiner Lösung, die ja für uns vor Augen und Ohren ist, wieder mehr Bedeutung beimessen. Wie heißt es hier: "Als er nun auferstanden war von den Toten, dachten seine Jünger daran, dass er dies gesagt hatte, und glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte." Ich möchte am liebsten hinzufügen: Ach, würden wir doch auch häufiger daran denken und könnten wir das doch auch glauben! Denn es ist irgendwie seltsam mit der Auferstehung Jesu: Sie gerät immer wieder und immer mehr ins Abseits, so als wäre sie gar nicht so wichtig. Und dem Versprechen, dass wir auch den Weg ins Ewige Leben gehen sollen, wie unser Herr ihn uns voraus gegangen ist, geht es genauso. So kommt es, dass wir immer mehr in unsere Jahre in dieser Welt hineinpacken müssen, so als hätten wir für das Leben keine Ewigkeit Zeit. So kommt es, dass wir nach einem Abschied kaum noch aus unserer Trauer herausfinden, so als würden wir den geliebten Verstorbenen nicht wiedersehen. Und so kommt es schließlich, dass wir immer mehr den letzten Sinn unseres Lebens aus den Augen verlieren, weil uns weder die Auferstehung unseres Herrn noch unsere eigene eine feste Gewissheit ist. Aber sie gehört in die Mitte unserer Gedanken, unseres Glaubens und unserer Hoffnung. Denn diese Verheißung ist uns von unserem Herrn zugesagt und sie allein kann unserem Leben Ziel und Richtung geben. AMEN