Predigt zum 5. Sonntag nach Trinitatis - 24.7.2011

Textlesung: Jh. 1, 35 - 42

Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr?

Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.

Liebe Gemeinde!

Wir könnten jetzt über die Frage nachdenken, wie es denn nun tatsächlich gewesen ist mit der Berufung der ersten Jünger? Denn das ist Ihnen bestimmt auch aufgefallen, dass hier von den Brüdern Andreas und Simon die Rede ist, die Jesus z.B. nach dem Evangelium des Lukas durch einen großen Fischzug für sich gewinnt. Hier dagegen geht es ganz schnell und unspektakulär vor sich: Andreas kommt wie zufällig mit Jesus in Kontakt, begreift, dass dieser Rabbi der Messias ist und sagt es seinem Bruder Simon weiter. Und der wird nun auch gleich noch Kephas genannt, also Fels oder griechisch Petrus, wie er seitdem für uns Christen heißt. Diesen neuen Namen aber hat Simon nach den anderen Evangelisten erst viel später bekommen.

Aber wie gesagt: Wir könnten über all das nachdenken, aber wir wollen es nicht tun. Wir würden wohl kein Licht in die Sache bringen, um dann sagen zu können, so oder so war es wirklich, denn es stünde sozusagen Aussage gegen Aussage - nur leider hätten wir keine Möglichkeit mehr, Zeugen zu befragen oder Indizien für die eine oder andere Darstellung zu finden.

Genau genommen ist das aber auch alles nicht so wichtig. Wir wissen ja auch, dass die Schreiber aller vier Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) erst geraume Zeit nach den Ereignissen, die sie beschreiben, ihr Evangelium abgefasst haben. Und noch eins: Es kam ihnen dabei weniger auf die überprüfbare historische Wirklichkeit an als darauf, die Leser und Hörer ihrer frohen Botschaft zum Glauben an Jesus Christus zu führen, an den sie selbst glaubten.

Es gibt in der kurzen Geschichte des Johannesevangeliums, die wir gerade gehört haben, einen Gedanken, der genau dieser Sache dienen soll, nämlich die Leser oder Hörer für den Glauben an Jesus Christus zu gewinnen. Hier hören wir davon: „Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge?" In einer anderen Übersetzung heißt Herberge übrigens: Bleibe. Und das macht uns jetzt ganz deutlich, was die Jünger von Jesus wissen wollten und was nicht: Es ging nicht darum, in welchem Hotel oder welcher Pension der Meister abge-stiegen war. Da wären die beiden ohnedies nicht fündig geworden. Nein, sie wollen wissen, für was Jesus steht, wo sein Ort im Leben und was ihm wichtig ist, welchen Auftrag er erfüllen will und was er ihnen geben kann... Und das alles läuft schließlich auf die Frage hinaus, ob er der Messias ist, den die Juden damals schon erwarteten.

Das war vielleicht ein bisschen so, wie wenn in einer Kirchengemeinde eine neue Pfarrerin, ein neuer Pfarrer anfängt oder ein noch unbekannter Lektor oder eine Prädikantin ihren ersten Gottesdienst halten. Da sitzen wir dann auch unter der Kanzel und haben die Frage: Wofür steht dieser Prediger, diese Predigerin? Was ist die Theologie, von der er oder sie herkommt. Und ganz wichtig wird uns dabei die Antwort auf die Frage sein: Ist er oder sie „echt"? Wird das, was die Lippen sprechen, durch die Art und Weise wie er oder sie wirkt gedeckt? Oder anders: Ist dieser Mensch glaubhaft? Lebt dieser Mensch die Worte auch, die er uns auf der Kanzel verkündigt oder legt er uns in der Predigt Dinge auf, die er selbst nicht einmal mit einem Finger berühren möchte?

Andreas jedenfalls, einer der Jünger, die Jesus nach seiner Herberge gefragt hatten, ist zu dem Schluss gekommen, von dem er dann seinem Bruder Simon erzählt. Er „spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. Und er führte ihn zu Jesus."

Aber das ist jetzt ein wenig zu schnell gegangen - für uns jedenfalls. Schauen wir einmal, wie es dazu gekommen ist, dass Andreas erkennt, dass Jesus der Messias ist?
Nachdem er nach Jesu Bleibe gefragt hatte, bekommt er von Jesus nur drei Wörtchen zur Antwort: „Kommt und seht!" Und wie zur Bestätigung, dass es nicht um die Wohnung oder das Haus Jesu ging, hören wir: „Sie kamen und sahen's und blieben diesen Tag bei ihm." Die Jünger und Jesus haben sich Zeit füreinander genommen. Einen ganzen Tag lang. Sicher wurde hin und her viel gesprochen, gefragt und geantwortet. Gewiss hat man einander das Herz geöffnet und man hat sich kennen gelernt. Gut genug allemal, dass Jesus die beiden als Jünger und die Jünger ihn als Meister wählen und ihn als den Messias erkennen konnten.

Liebe Gemeinde, ich finde, hier liegt die tiefste Botschaft dieser Verse aus dem Johannesevangelium verborgen, dass sie uns in ganz kurzen, einfachen Worten zeigt, wie das geht, dass wir Jesus Christus im Glauben als Herrn und Meister und als den Messias, den Gesalbten Gottes annehmen können: Fragen müssen wir ihn! Wo ist deine Bleibe, wo ist dein Ort im Leben, was ist dein Auftrag und was kannst du mir geben?

Dann wird er uns nicht antworten: Dies und das kann ich euch geben. Da bin ich theologisch oder philosophisch, religiös oder weltanschaulich zu Hause. Diesen oder jenen Auftrag habe ich von Gott mitbekommen. Sondern er wird nur das sagen: Kommt und seht! Und das meint eben dies: Schaut, was ich tue und lasse. Hört, was ich sage und denke. Empfindet, wie es in meiner Nähe ist und ob ihr euch bei mir wohlfühlt. Und hinter allem steht der Gedanke, dass wir unsere Erfahrungen mit ihm machen sollen, dass wir uns Zeit geben dürfen, wenn und bevor wir uns auf ihn einlassen. Dabei erinnern wir uns gewiss jetzt an die Gleichnisse und Geschichten des Neuen Testaments, in denen immer wieder genau dies betont wird: Es braucht Zeit, sich für Jesus Christus zu entscheiden. Es braucht Erfahrung mit ihm und mit seiner Sache. Der Glaube ist keine Angelegenheit des Augenblicks. Der Verlorene Sohn fällt mir dazu ein. Er muss erst die Erfahrung der Ferne von Gott machen, um zu begreifen, wie gut es in der Nähe des Vaters ist. Der Zöllner Zachäus fällt mir ein: Von einem Baum herab beobachtet er erst einmal den, von dem er schon so viel Wunderbares gehört hat. Dann sitzt er mit ihm zu Tisch und hört seine Rede und sieht seine Art, wie er mit ihm umgeht. Dann erst kann er ihn seinen Herrn nennen. Und mir fällt die Geschichte vom Reichen Jüngling ein, bei dem es einmal genau anders läuft: Er soll alles verkaufen, was er hat, um das Reich Gottes zu gewinnen. Das kann er nicht, weil er eben noch keine Erfahrung mit Jesus gemacht hat, die ihn davon hätte überzeugen können, dass er sein Herr ist und dass es sich lohnt, für ihn allen weltlichen Kram aufzugeben.

Liebe Gemeinde, jede und jeder von uns steht heute an einem anderen Ort im Leben. Der eine kommt vielleicht von einer Kindheit her, in der er nicht viel von Jesus Christus gehört und in der sich nie die Frage gestellt hat, an ihn zu glauben und ihn den Herrn des eigenen Lebens sein zu lassen. Eine andere hat schon sehr früh im Leben eine Beziehung mit Jesus aufgebaut, aber sie ist im Laufe schwerer, dunkler Jahre zerbrochen. Ein Dritter ist schon so lange er lebt und denkt einer, der das Bekenntnis der Christen zu diesem Herrn leicht und ohne Schwierigkeiten mitsprechen kann. Und sicher gibt es noch einige Beispiele für Glaubenseinstellungen unter uns, die irgendwo dazwischen anzusiedeln sind. Für uns alle aber gilt - auch für die Menschen, die heute fest im Glauben stehen - dass der Weg zu Jesus Christus und zum Glauben an ihn als den Herrn der Welt und unseres Lebens über die Frage führt: Wo ist deine Bleibe, wo ist dein Ort im Leben, was ist dein Auftrag und was kannst du mir geben? Und Jesu Antwort ist und bleibt: Kommt und seht! Schaut, was ich tue und lasse. Hört, was ich sage und denke. Empfindet, wie es in meiner Nähe ist und ob ihr euch bei mir wohlfühlt - macht eure Erfahrung mit mir. AMEN