Predigt zum 5. So. n. Epiphanias - 6.2.2011

Liebe Gemeinde!
Wir hören gleich Worte aus dem Prophetenbuch Jesaja, die auch ältere Prediger der frohen Botschaft wahrscheinlich noch nie zu predigen hatten. Diese Worte sind für den heutigen Sonntag im Kirchenjahr bestimmt, also für den 5. Sonntag nach Epiphanias. Und den gibt es nur alle paar Jahrzehnte einmal. Weil Ostern aber dieses Jahr so spät liegt, ist heute dieser seltene Sonntag und dieser Prophetentext ist tatsächlich einmal dran. Und ich bin sehr froh darüber, denn es ist ein sehr interessanter Text, allerdings auch ein sehr ernster und harter Text.
Aber jetzt habe ich Sie lange genug vorbereitet. Hören wir auf die Worte aus Jesaja, sie stehen dort im 40. Kapitel:

Textlesung: Jes. 40, 12 - 25

Wer misst die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne und fasst den Staub der Erde mit dem Maß und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage?

Wer bestimmt den Geist des HERRN, und welcher Ratgeber unterweist ihn?

Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes?

Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage. Siehe, die Inseln sind wie ein Stäublein.

Der Libanon wäre zu wenig zum Feuer und seine Tiere zu wenig zum Brandopfer.

Alle Völker sind vor ihm wie nichts und gelten ihm als nichtig und eitel.

Mit wem wollt ihr denn Gott vergleichen? Oder was für ein Abbild wollt ihr von ihm machen?

Der Meister gießt ein Bild, und der Goldschmied vergoldet's und macht silberne Ketten daran.

Wer aber zu arm ist für eine solche Gabe, der wählt ein Holz, das nicht fault, und sucht einen klugen Meister dazu, ein Bild zu fertigen, das nicht wackelt.

Wisst ihr denn nicht? Hört ihr denn nicht? Ist's euch nicht von Anfang an verkündigt? Habt ihr's nicht gelernt von Anbeginn der Erde?

Er thront über dem Kreis der Erde, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken; er spannt den Himmel aus wie einen Schleier und breitet ihn aus wie ein Zelt, in dem man wohnt; er gibt die Fürsten preis, dass sie nichts sind, und die Richter auf Erden macht er zunichte: Kaum sind sie gepflanzt, kaum sind sie gesät, kaum hat ihr Stamm eine Wurzel in der Erde, da lässt er einen Wind unter sie wehen, dass sie verdorren, und ein Wirbelsturm führt sie weg wie Spreu.

Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei? spricht der Heilige.

Liebe Gemeinde, ja, poetisch sind diese Worte auch noch. Darum wäre es jetzt sicher falsch, jedem einzelnen Satz, jedem Begriff und Gedanken auf den Grund zu gehen. Ich will lieber versuchen, den Kern und damit die Mitte dieser Worte herauszuarbeiten. Worum geht es hier?

Gott lässt den Menschen zur Zeit des Jesaja etwas ausrichten; er erinnert sie an einen wichtigen Zug seines Wesens, der anscheinend im Lauf der Geschichte Gottes mit seinem Volk in Vergessenheit geraten ist: seine Heiligkeit! Vielleicht können wir auch sagen: seine Majestät oder seine Hoheit. Und die Botschaft des Jesaja an die Menschen seiner Zeit ist nun: Ihr scheint es nicht mehr zu wissen, dass Gott heilig ist, dass er himmelweit über uns thront, dass er alles, was ist, geschaffen hat, dass er im Verborgenen alle Welt regiert und seine Schöpfung und die Menschen in seiner Hand hält. Was die Menschen, ja, ganze Völker dagegen sind, wird sehr deutlich gesagt: "Tropfen am Eimer", "Sandkorn auf der Waage", "Stäublein", "Heuschrecken", also wenig mehr als nichts!

Wir wollen dem Jesaja abnehmen, dass der Vorwurf, den er ausrichtet, berechtigt war. Denken wir doch nur an die Mosezeit und wie damals das Verhältnis der Menschen zu Gott war:

Ziehe deine Schuhe aus, denn der Boden auf dem du stehst, ist heilig! Das hat Mose gehört, als er Gott am brennenden Dornbusch zuerst begegnet ist. Und immer seitdem bleibt Gott unsichtbar, weil kein Mensch ertragen könnte, seine Herrlichkeit zu sehen: Mose darf Gott hinterher schauen, aber nicht ins Angesicht. Dem Volk Israel geht Gott während der langen Wüstenwanderung am Tag in einer Wolke und bei Nacht in einer Feuersäule voran. Schon die Berührung der Bundeslade später, also des Aufbewahrungsschreins der Gesetzestafeln aus Gottes eigener Hand, führt zum Tod. Und noch viele weitere Beispiele gäbe es und alle sprechen für die Hoheit Gottes, seine Unnahbarkeit, seine Majestät.

Das ist ganz offenbar im Laufe der Jahrhunderte anders geworden. Gott wurde herabgezogen in die Schar der Götter der anderen Völker. Er wurde verglichen mit ihnen. Wie von ihnen wurden Abbilder Gottes aus Holz, Metall und Stein gemacht. So ging Gottes Majestät und Heiligkeit vergessen.

Liebe Gemeinde, kommen wir zu uns und unserem Verhältnis zu Gott. Und kommen wir damit zu dem Grund, warum ich froh darüber bin, dass wir an diesem seltenen Sonntag einmal über diese Jesajaworte nachdenken sollen. Haben wir Gott nicht auch herabgezogen? Wohin? Wozu?

Mir fällt dazu ein, wie wenig heute noch der siebte Tag geachtet wird, den Gott selbst uns als Ruhetag, als einen Tag der Besinnung und der Erbauung geschenkt hat. Wie ehrt unsere Gesellschaft, auch die Politik und wir ganz persönlich, Gottes Hoheit, wenn wir den Sonntag für alles mögliche nutzen: zum Einkaufen, zur Autowäsche, zum Erledigen dessen, was in der Woche liegen geblieben ist, für Koalitions- und Arbeitssitzungen, für noch viele andere Dinge - nur nicht für die Wohlfahrt unseres inneren Menschen, für die seelische Erhebung und die Pflege unserer Beziehung zu Gott, dem heiligen Gott!

Und mir fällt die Rolle ein, die wir unserem Gott auch in unserem Alltag zuweisen oder sagen wir besser: dass wir Gott eigentlich eine sehr geringe oder gar keine Rolle mehr spielen lassen: Wie viel Zeit nehmen wir uns für das Gebet? Wann über Tag kommen wir mit seinem Wort in Kontakt? Wo ist er in unseren Gesprächen? Wann kann unser Mitmensch von uns einmal irgendeinen Gedanken hören, der ihm zeigt, dass wir uns auch als Christinnen und Christen zu den Ereignissen in unserem Leben und in der Welt stellen? Ist unser Alltag nicht wirklich sehr arm an Hinweisen, dass wir ein Verhältnis zu dem großen, heiligen Gott haben?

Schließlich denke ich auch noch daran, was wir als Eltern und Erzieher an unsere Kinder und Enkel weitergeben oder eben nicht mehr weitergeben: Was lesen sie an unserem Leben über die Bedeutung Gottes für uns ab? Wann haben wir zuletzt mit ihnen über den Glauben oder irgendein religiöses Thema gesprochen? Halten wir den schulischen Religionsunterricht für ausreichend, unseren Kindern den Weg in eine Beziehung zu Gott zu ebnen? Genügt dazu die Konfirmandenzeit und die Einsegnung? Werden unsere Kinder einmal die Heiligkeit Gottes erkennen und achten?

Gewiss, wenn wir jetzt auf uns beziehen, was Jesaja damals im Auftrag Gottes den Menschen gesagt hat, dann tut das weh und wir empfinden es als hart, zu hart vielleicht: "Tropfen am Eimer", "Sandkorn auf der Waage", "Stäublein", "Heuschrecken" ...

Andererseits, es ist unser Schöpfer, der uns hier mahnen lässt! Es ist der heilige Gott, der uns zurechtweisen will. Mahnen ... und eben nicht verdammen! Zurechtweisen ... und eben nicht zerstören. - Wie Gott damals den Menschen Zeit gegeben hat, über seine Worte nachzudenken, so gibt er auch uns Zeit. Wie er damals in großer Geduld gewartet hat, dass die Menschen sich besinnen und zurückkehren zur Achtung seiner Hoheit und Herrlichkeit, so wartet Gott auch heute geduldig darauf, dass wir unsere Beziehung zu ihm überdenken und neu aufbauen: Mit Besinnung darauf, dass er uns geschaffen hat und noch heute trägt und hält, dass er uns durch Jesus Christus zu einem Leben als sein Kind erlöst hat, dass er uns durch ihn das Ziel unseres Lebens gesetzt hat: seine Herrlichkeit in seiner ewigen Nähe - und das alles ohne unser Verdienst, ohne unser geringstes Zutun, aus reiner Güte, als Geschenk seiner Liebe ...

Wie antworten wir auf die Frage, die wir bei Jesaja als letzten Satz der Worte lesen, die uns heute zum Bedenken vorgelegt sind?: Mit wem wollt ihr mich also vergleichen, dem ich gleich sei? spricht der Heilige. AMEN