Predigt zum 1. Christtag     -    25.12.2010

Textlesung: Mi. 5, 1 - 4a
Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.

Liebe Gemeinde!

Ich weiß ja nicht, was Ihnen an diesem Text besonders nahe gegangen ist ... mir ist noch das im Ohr: „Indes, lässt er sie plagen ..." Da sitzen wir hier - Weihnachtsglanz im Gesicht, der sanfte Schimmer der Kerzen spiegelt sich in unseren Augen wider ... und wir hören etwas von „Plage"? Mitten in unsere festlichen Gefühle und Gedanken hinein dieser unweihnachtliche Ton!? Wie geht es uns damit? ---

Tut uns das nicht einmal gut: Fast wird uns doch die Freude dieser Tage zur Strapaze! O du fröhliche ... freuet euch ... jauchze laut ... jubiliere ... triumphiere ... Man mag sich gar nicht mehr erlauben, an sein Leid zu denken, an das Kreuz, an dem wir so tragen - und das gibt es doch und das ist heute ja nicht einfach weg oder vergessen! Aber wir haben ja fast ein schlechtes Gewissen, wenn's uns doch einmal in den Sinn kommt. Wie soll sich das denn auch zu Christbaum, zum Fest, zu Lichterglanz und froher Botschaft reimen?
Hier wird's nun doch einmal ausgesprochen. An Weihnachten! Mitten hinein in den Festtrubel mit Freude über Freude: „Indes lässt er sie plagen ..." Und wir dürfen einmal dazu stehen und davon sprechen: Ja, es gibt auch Plage, Kummer, Dunkles und Schweres. Und ja, das gehört hinein in unser Leben - auch in diese Zeit, da die Engel singen. Wie tröstlich!

Und wenn wir das jetzt hören und darüber nachdenken, merken wir: Die selige Stimmung der Weihnacht, unser frohes Gesicht - da war auch viel Schminke drauf, vieles nur äußerlich, nur Fassade. Wenn die Lichter am Baum brennen, wenn wir die schöne alte Geschichte hören, dann ist ja doch nicht alles ausgeschaltet, was uns auch in dieser Zeit quält und bedrückt ... vielleicht Jahre schon: Wie soll denn einer zum Beispiel sein Alter vergessen, seine Schwäche, sein Gebrechen und wie wenig ihn noch am Leben freut - nur weil da Engel von Freude reden? Wie kann denn einer über sein Leid hinauskommen, den Schmerz einer Trennung, die Trauer eines Abschieds - nur weil gerade die gnadenbringende Weihnachtszeit im Kalender steht? Und schließlich: Einer, der mit sich nicht zurechtkommt, dem die Angst ständiger Begleiter ist, der vom Dunkel in seinem Innern nicht loskommt - wie soll der denn zum Staunen über die frohe Botschaft kommen - bloß weil man sie jetzt in den Kirchen hören kann? All das und wohl noch mehr quält uns heute - wie immer: Schwäche, Krankheit, Schuld, Leid und Trauer. Es ist wahr: „Indes lässt er sie plagen ..." Wie soll da echte Freude aufkommen?
Und das ist ja nun auch wahr: Wie ringen wir doch immer wieder um die Freude. Was machen wir nicht alles, um die Freude zu finden und festzuhalten: Einer lässt sich emporheben auf einer Woge des Gefühls. Da kann nicht genug Lametta an den Zweigen hängen! Wieder und wieder singt er die rührseligen Strophen der alten Lieder. Die Luft im Weihnachtszimmer voll Tannenduft. Aber das ist wie eine Flucht in eine Scheinwelt. Mit den Kerzen gehen auch die Gefühle aus. Was wir vergessen und verdrängen wollten, wird uns um so grausamer wieder überfallen.

Ein anderer überdeckt die innere Leere durch Arbeit - selbst an den Feiertagen. Da gibt's in manchem Haus weihnachtliche Betriebsamkeit rund um die Uhr. Und fing das nicht schon in der Adventszeit an?: Seit dem Bußtag jeden Tag zwei Sorten Plätzchen backen ... der Geschenkerummel ... die ganzen Vorbereitungen ... Und jetzt, heute: Die ganze Mühe um die Esserei, den Braten ... stundenlang in der Küche, der Abwasch, das Aufräumen ... Oder auch so: Endlich einmal frei, zu Hause sein und Zeit für dieses und jenes haben! Bloß keine für das Eigentliche: die Freude. Sie will sich nicht einstellen!

Und auch die gibt es: Ach, hören Sie mir doch auf mit Weihnachten! Freude und so - ist doch alles Humbug. Ein Tag wie jeder andere. Nichts besonderes für mich. Nur mal nicht in den Betrieb müssen, mal ausschlafen können und - naja - auch ein bisschen feiern. Wegen der Kinder, versteht sich!

Aber - glauben Sie mir - in einer kleinen Viertelstunde, vielleicht an Heiligen Abend schon, vielleicht an den Feiertagen erst, kommen die Gefühle, die so schmerzlich zum Bewusstsein bringen, wie kalt es in manchen Herzen ist, wie leer und freudlos. Und dann kommt auch die Sehnsucht nach etwas, das wir aus der Kindheit kennen - keiner hat's ganz vergessen: die leichten frohen Gedanken, wie sie zu diesen Fest gehören, ein wenig Hoffnung, ein wenig Glück, ein wenig Freude ...

„Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat."

Liebe Gemeinde, sie hat geboren! Er ist da, mit dem alles anders werden soll, werden kann!

Der Stall, in dem er zur Welt kommt, ist ihm gerade recht, so wie er ist: so kalt, so zugig, so unwirtlich. Da wird kein großer Putz veranstaltet, der Dreck ausgeräumt, das Vieh ausquartiert oder noch schnell ein bisschen Farbe aufgelegt ... Mitten hinein geht der Heiland; Gott ist sich nicht zu gut für den Unrat und die Kälte eines Viehstalls.

Die Krippe, in die man ihn legt, verbirgt nicht, was sie ist: kein Bettlein, kein Wiegelein, nicht einmal ein niedliches Krippelein. Nur ein einfacher Viehtrog, schmucklos, schartig und hart. Kaum eine Stunde ist das her, da fraß noch der Esel daraus. Das ist Gottes erstes Lager auf dieser Erde. Er scheut nicht die Härte einer Futterkrippe.

Die Hirten, die als erste von seiner Geburt hören, gefallen ihm, so wie sie sind: so zerlumpt, so schlecht, so schuldbeladen ... Er lässt ihnen nicht sagen: Sucht euren Sonntagsstaat, dann macht euch auf, denn es ist ein Königskind, das da geboren wurde! Er lässt ihnen nicht ausrichten: Bessert euch, dann komme ich auch zu euch. Nein, das ist die frohe Nachricht für sie: Fürchtet euch nicht! Euch ist heute der Heiland geboren! Macht euch auf zu ihm!

Könnte uns das nicht Mut machen, dass wir nun auch zu uns selbst Ja sagen, uns annehmen - so wie wir sind? Das gilt uns allen hier, mir und dir: In dein Herz, in all deine Traurigkeit, dein Elend, deine Schuld hinein will er geboren werden! Das ist ihm ja gar nicht zu trostlos bei dir! Das ist ihm nicht zu dunkel und zu kalt in deinem Herzen! Da musst du nun nicht all das gemachte Gefühl zusammenraffen, damit er zu dir kommen kann. Lass doch deine Mühe um die künstliche Freude, die du dir auflegst, wie eine weitere Last. Er kommt auch ohne dass du dich schmückst, ohne dass du dich putzt. In dein Leben hinein, so farblos, so einfach und unbedeutend es auch ist, will er kommen! Es ist ihm nicht zu klein, zu eng und zu leer in dir!

Da brauchst du nun deine Armut nicht mehr verbergen. Warum noch so betriebsam, warum noch mit all der Arbeit die innere Leere auszufüllen versuchen? Er bringt die Fülle! Er kann dein Leben neu machen! Lass ihn doch ein! Und steh' heute ruhig auch zu deiner Sehnsucht: Nach Liebe, nach Wärme, nach Hoffnung und Glück ... Er kommt ja, sie zu stillen! Du magst Jahre nicht mehr an ihn und sein Wort gedacht haben, du magst seine Geburt bei dir längst nicht mehr für möglich halten, du magst über deiner unerfüllten Sehnsucht hart und grau geworden sein - so wie du bist, bist du ihm recht. Er will zu dir kommen. Du sollst ihm Herberge werden und er wird dein Friede und deine Freude sein.

„Indes lässt er sie plagen bis auf die Zeit, dass die, welche gebären soll, geboren hat."

Sie hat geboren! Es wird alles anders! AMEN