Predigt zum Ewigkeitssonntag - 21.11.2010

Textlesung: Offb. 21, 1 - 7

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.

Liebe Gemeinde!

Warum kommen die Menschen am Ewigkeitssonntag zur Kirche? Es gibt sicher viele Gründe dafür, einer ist: Wir fragen nach dem Tod und nach dem, was danach kommt. Ist er die Grenze, hinter der für uns alles aus ist? Oder können wir an das neue Leben nach dem Tod glauben und diesen Worten vertrauen: "Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen?"

Und es gibt Gedanken, Erfahrungen, die für diesen Glauben sprechen: All die Menschen, die wir im vergangenen Jahr hergeben mussten ... sie sind doch nicht vergessen. Mehr noch: All unsere Lieben, die vor uns haben gehen müssen, sind noch in unserer Erinnerung lebendig - und mögen auch Jahrzehnte seit ihrem Tod vergangen sein. Sind sie nur in unserer Erinnerung lebendig? Sind ihre Züge, ihre Art und ihr Wesen, alles was sie einmal für uns taten nur in unserem Kopf aufgehoben - wie vergilbte Bilder in einem Fotoalbum? Oder denken und erinnern wir uns auch noch nach Jahren an sie, weil sie eben nicht ins Nichts gefallen, sondern auch bei Gott nicht vergessen sind?! Er hat uns ja doch Leben nach dem Tod verheißen. Sein Sohn Jesus Christus kämpfte und starb für dieses Leben - und wir sollen darauf hoffen, wider den Tod. Können wir darauf hoffen? Für unsere Verstorbenen - für uns? Sind wir deshalb heute in der Kirche. Ich gehe davon aus - und will am Totensonntag über das Leben reden - das Leben nach dem Tod.

"Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut ..." Diese neue Welt muss sehr schön sein! Unvorstellbar herrlich auch das Leben in der heiligen Stadt - mit was sollten wir es vergleichen? - Ich will Ihnen etwas erzählen:

Es gibt da einen Ort mitten in einer nicht so "heiligen" Stadt, mitten in unserem Land*, 1000 mal 1000 Meter groß. Rings herum flutet der Verkehr und drinnen ... ein Naturparadies! Uralte, seltene Bäume, Blumenpracht, saftige Wiesen, auf denen die Kaninchen springen. Dazwischen schattige Wege: Du gehst wie durch einen Wald. Dann wieder Mauern entlang des Wegs, kräftig grünes Efeu darauf und kleine Gebäude hie und da, Nischen, in denen Eulen brüten und Torbögen und Durchgänge, hinter denen sich immer wieder neue schöne Pfade auftun. Wenn du stehen bleibst, hüpfen die Eichhörnchen auf dich zu. Wenn du die Hand mit ein paar Brotkrumen oder Körnern ausstreckst setzen sich Meise und Kleiber darauf, ohne Angst. Die Menschen an diesen Ort sind still und freundlich, spazieren die Wege entlang ohne Hast. Die meisten tragen Blumen und Kränze in den Händen, als wollten sie diesen schönen Ort noch schöner machen.

Liebe Gemeinde, das ist kein Märchen. Es gibt dieses Paradies voller Leben - mittendrin in der Großstadt. Nur habe ich die Kreuze überall zwischen den Bäumen bisher nicht erwähnt. Auch von den Grabmalen und -steinen habe ich noch nicht gesprochen - aber du schreitest dort einher zwischen Tausenden von Toten: Der Ort ist der Hauptfriedhof der großen Stadt. Ein Bereich des Todes, strotzend von Leben ...

Und dort in der großen Stadt kannte ich einmal eine junge Frau, der war ein sehr lieber Mensch gestorben. Seit dem Begräbnis dieses Menschen ging sie fast jeden Tag an das Grab des geliebten Angehörigen. Sie sieht, wie der Erdhügel dort langsam in sich zusammenfällt, sieht, wie die Blumen der Kränze welken, wie das Holzkreuz durch einen Stein ersetzt wird ... und dort steht der Name geschrieben ... des Menschen, der nun nie mehr sein wird ... Wo ist dieser Mensch? Die junge Frau fragt sich das immer wieder und wieder ... auf ihren langen Gängen durch diesen Ort des Todes mitten in der Großstadt ... einem Ort, der ihr nach und nach immer lebendiger erscheint: Hier singen Vögel, die sie sonst noch nie gesehen hat, hier stehen Bäume, alt und ehrwürdig und voller Kraft. Hier grünt und blüht alles und das Eichkätzchen nimmt sich die Nuss zwischen ihren Fingern.

Es kann uns nicht wundern, wenn ihr dieser Friedhof eines Tages zum Gleichnis wird: Der Garten des Todes - ein Platz überfließenden Lebens! Und vielleicht können wir uns auch vorstellen, wie das wirken muss, wenn die junge Frau bei einem ihrer Gänge über den Friedhof auf einer Grabplatte die Inschrift entdeckt: "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen; und er wird bei ihnen wohnen, und er wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen." Und sie sagt sich die Worte immer wieder vor auf ihren Wegen. Und sie kehrt auch immer wieder einmal zurück zu der Grabplatte mit diesen Versen, die sie so lieb gewinnt: "Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen..." Denn sind diese Verse nicht die Antwort auf ihre Frage: Was geschieht mit den Menschen, die sterben?: Sprechen sie nicht von neuem Leben ... von Gott bei den Menschen ... keine Tränen, kein Leid mehr und - kein Tod! Und es fällt der jungen Frau auf einmal nicht mehr schwer zu glauben: Der Tod ist nicht das Letzte, es kommt ein neues Leben! Und es fällt ihr um so leichter an diesem Ort inmitten der großen Stadt: diesem herrlichen, lebendigen Garten des Todes ... voller Leben. - - -

Liebe Gemeinde, alles, was ich heute erzählt habe, war kein Märchen. Genauso ist es gewesen. Nun weiß ich wohl, solche Erfahrungen lassen sich nicht übertragen - man muss sie selbst machen. Erfahrungen mit dem Tod haben viele von Ihnen in den letzten 12 Monaten machen müssen. Schmerzliche Erinnerungen stellen sich ein: Die Tage kurz danach, die Fragen nach den Sinn des Todes, die Ängste, allein zu sein, die Leere des Hauses ohne ihn, ohne sie, das Leid, das einem das Herz abschnürt ... Sie haben das alles erlebt und dachten, das wird nie mehr, darüber komme ich nicht hinweg. Aber auf einmal war da doch wieder ein Fünklein Freude, von irgendwoher. Es kam uns ein Lächeln auf die Lippen - kaum wollten wir's uns gestatten! Wir sind beim Tod nicht stehen geblieben. Das Leben ging weiter. Die Zeit heilte unsere Wunden. - Warum sagen wir eigentlich: die Zeit? Warum sagen nicht: Gott heilt die Wunden - denn er verspricht uns doch, unsere Toten in seiner Hand zu bergen? Warum sagen wir nicht: Sein Heiliger Geist schenkt uns wieder ein Lächeln - denn es ist uns doch verheißen: Ihr sollt leben! Und warum sagen wir nicht: Gottes Zusage Ewigen Lebens gibt uns die Freude zurück - die Menschen, die wir lieb hatten, haben bei ihm doch jetzt ein Zuhause!

Haben Sie solche Erfahrungen nicht machen dürfen: Das Leid hinter sich lassen, dem Bann des Todes entkommen, wieder Sinn sehen, wieder lächeln können ... Fällt es Ihnen denn dann noch schwer zu glauben, dass der Tod nicht das Letzte ist, dass ein neues Leben kommt ...?

Aber nicht nur mit anderen Menschen, auch persönlich, an uns selbst, haben viele von uns immer wieder einmal so etwas erlebt - auch in den letzten 365 Tagen: Führung ... jedenfalls das, was dieses altmodische Wort meint. Unser Leben war gefährdet, es stand auf der Kippe - aber es wurde gut, wir sind genesen. Eine Entscheidung war zu treffen - wir haben gewählt und taten, was wir gar nicht wollten - heute wissen wir: es war richtig so. Zwei Beispiele für diese Sache: "Führung". Wir sagen dann: Glück gehabt, da hat der Zufall mitgespielt - aber warum nennen wir's nur "Glück" und "Zufall"? Warum nicht: Gottes Bewahrung - denn er hat doch einmal Ja zu unseren Leben gesagt, bei unserer Taufe. Warum sagen wir nicht Gottes Hilfe - denn er will ja doch unsere Zeit in seinen Händen haben und er tut's auch! Noch einmal: Haben wir nicht Führung gespürt, Beistand, Hilfe, die nicht von dieser Welt war: Kraft, wo wir am Boden lagen, eine Einsicht, wo wir nicht weiterwussten, Geborgenheit, wo unser Leben gefährdet war ... Warum fällt es uns dann noch schwer zu glauben: Der Tod ist nicht das Letzte, es kommt ein neues herrliches Leben ...?

Für jeden von uns hieß diese Erfahrung des Lebens, die wir machen durften, anders - aber jeder und jedem von uns wollte sie dasselbe sagen: Ein neues Leben kommt. Der Tod wird dich nicht halten. Er ist nicht das Ende. Für dich nicht und für die nicht, um die du trauerst.

"Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen." - Und auch den nächsten Vers will ich uns noch sagen: "Diese Worte sind zuverlässig und wahr!" AMEN

* Es ist von der Stadt Frankfurt am Main und ihrem Hauptfriedhof die Rede.