Predigt zum 13. Sonnt. nach Trinitatis - 29.8.2010

Liebe Gemeinde!

Wenn ich Sie jetzt fragen würde, welche Liebe wichtiger ist, die Liebe zu Gott oder die zu den Menschen, was würden Sie antworten? - - - Ich bin ziemlich sicher, dass Sie alle so entschieden haben: Die Liebe zu Gott ist wichtiger! - Jetzt wollen Sie wissen, ob diese Antwort denn richtig ist. Hören wir dazu auf die Lesung zur Predigt zu diesem 13. Sonntag nach Trinitatis:

Textlesung: 1. Jh. 4, 7 - 12

Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Ich denke, die Antwort des Johannes, die wir eben gehört haben, ist eindeutig: Die Liebe zu den Menschen, zu unseren Schwestern und Brüdern, die wie wir Kinder Gottes sind, ist wichtiger als die Liebe zu Gott. Aber vielleicht sagen wir es ein wenig anders: Gottes Liebe zu uns will nicht zuerst die Gegenliebe zu IHM. ER will, dass wir uns untereinander lieben. Wenn wir das tun, dann lieben wir auch IHN und Gottes Liebe zu uns kommt an ihr Ziel, dann das Ziel ist, dass wir einander lieben!

Jetzt fragen wir uns gewiss: War unsere Antwort, dass die Liebe zu Gott die wichtigste ist, dann also falsch? Ja und Nein! Richtig ist sicher, dass unser Verhältnis zu Gott größere und weitreichendere Bedeutung hat als die Liebe zu unseren Nächsten. Denn allein in unserer Beziehung zu Gott ist unsere Hoffnung begründet, die über den Tod hinaus Bestand hat. Auch unser Glaube, unser Vertrauen zu Gott, aus dem unser Denken, Reden und Handeln entsteht, hängt eng mit dieser Liebesbeziehung zusammen. Und doch ist es auch ganz anders: Das wichtigste für uns Menschen, besonders für uns Christinnen und Christen, ist die Liebe zu unseren Mitmenschen. Denn diese Liebe ist Gottes klarer und ausgesprochener Wille und allein in dieser Liebe können wir zeigen, dass wir (auch) Gott lieben. Es geht dabei aber nicht um die Reihenfolge. Es ist vielmehr so, dass ich im Augenblick, in dem ich meinem Mitmenschen Liebe entgegenbringe, auch Gott Liebe erweise. - Aber ich merke jetzt selbst, das ist alles arg theoretisch und mehr etwas für unseren Kopf, unseren Verstand. Ich will einmal zwei kleine Geschichten erzählen, die dazu noch unser Gefühl und unsere Phantasie ansprechen. Ich glaube, dann wird es deutlicher, warum es für uns doch zuerst um die Liebe zu den Menschen geht:

- Ein Einsiedler lebte einmal auf einem unzugänglichen Berg in den Alpen. Er hatte als junger Mann einen Schwur getan, dass er sein ganzes künftiges Leben dem Studium der Heiligen Schrift, dem Gebet, der Meditation und damit der Liebe zu Gott widmen und sich dazu völlig aus der menschlichen Gesellschaft zurückziehen wollte. So wohnte er inzwischen seit über dreißig Jahren in einer abgelegenen Hütte, zu der kein von Menschen begangener Weg führte. Wasser nahm der Einsiedler aus einer Quelle nahe der Stelle, an der seine Hütte stand. Einmal in der Woche legten mildtätige Bauern aus dem Tal an einem lange vereinbarten Ort unterhalb der Hütte die Vorräte ab, die er in einer Woche verbrauchte. Die Bauern versprachen sich davon die Hilfe der Fürbitte des Einsiedlers, die er auch täglich gewissenhaft vor Gott brachte. Einen persönlichen Kontakt aber gab es zwischen dem Bergbewohner und den Menschen im Tal in den dreißig Jahren nicht.

Es war eigentlich ein Tag wie viele andere vorher, an dem der Einsiedler plötzlich - als wäre sie ihm von oben geschenkt worden - die Erkenntnis hatte, dass er in all den einsamen Jahren, die er nun schon in der Abgeschiedenheit seines Berges wohnte, nicht nur jegliche Beziehung zu den Menschen, sondern auch die zu Gott verloren hatte. Sein Bibelstudium ergab keine Antworten mehr, nur noch Fragen. Die Stunden der Meditation führten ihn nicht zum besseren Verständnis der Welt und zu größerer Tiefe im Glauben, vielmehr dazu, dass ihm bewusst wurde, wie sinnlos und leer sein Leben doch war. Und seine Gebete fielen, so schien es ihm, ungehört aus der Höhe des Himmels zurück.

Seitdem lässt den Einsiedler die Erkenntnis nicht mehr los, dass nur der Mensch zu Gott findet, der auch mit Menschen Umgang hat. Und es scheint ihm auch so zu sein, dass die Liebe zu Gott nicht ohne die Liebe zu den Menschen zu haben ist. - Soweit diese Geschichte. Hier kommt die zweite:

- Eine junge Frau hat in der Vergangenheit durch ein schweres Schicksal viele böse Stunden gehabt und darüber Gott und den Glauben an ihn verloren. Irgendwann - vor drei oder vier Jahren - hat sie sich entschlossen, mit Gott, den sie seit ihrer Kindheit kannte und dem sie vertraute, zu brechen und ihre Gebete zu ihm einzustellen. Er hatte ihr so viel Leid geschickt - sie konnte ihn nicht mehr lieben und sie spürte umgekehrt auch nicht mehr seine Liebe, die ihr früher Kraft und Mut geschenkt hatte.

Von den Menschen aber wandte sie sich nicht ab. Im Gegenteil. Sie engagierte sich in ihrer Nachbarschaft und in der Kirchengemeinde, zu der sie gehörte. Und mehr und intensiver als früher! Es war ein bisschen so, als wollte sie sich (und vielleicht Gott, von dem sie sich abgewandt hatte) beweisen, dass die Liebe zum Nächsten auch aus eigenem Willen und Antrieb kommen kann. Eine ganze Zeit lang ging das auch gut. An jedem Morgen neu war sie stark genug, sich für die Mitmenschen einzusetzen. Es schien in ihr noch ein Vorrat zu sein, aus dem sie an ihre Nächsten austeilte. Aber - vor einigen Tagen war es - da fühlte sie sich leer und kraftlos. Am Morgen dieses Tages meinte sie noch, das würde gewiss bald wieder anders. Wenn sie sich nur richtig bemühte und noch mehr anstrengte.

Aber es änderte sich nicht. Sie empfand ihr Leben auf einmal so, als wäre inzwischen aufgezehrt, was noch aus der Zeit an der Hand Gottes in ihr war. Jetzt war sie ausgebrannt, konnte nicht mehr geben, nicht mehr lieben. Die Quelle ihrer Kraft war versiegt und irgendwie ahnte sie jetzt, dass unsere Liebe nicht aus uns selbst, sondern aus Gottes Liebe gespeist werden muss.

Liebe Gemeinde, wir müssen es nicht klären, welche Liebe am Ende wichtiger ist. Eins aber ist ganz sicher: Ohne die Liebe zu den Mitmenschen bleibt Gottes Liebe in uns nutzlos und tot. Und ohne die Liebe Gottes zu uns, auf die wir mit unserer Liebe zu unseren Nächsten antworten, brennt die Flamme unserer Liebe herunter und verlöscht irgendwann ganz. Und noch eines ist deutlich: Von Gottes Liebe geht alles aus! Weil er uns zuerst liebt, können wir unsere Mitmenschen lieben.

Nun könnten wir denken, dass Gottes Liebe zu uns doch auch eine Ursache hat. Vielleicht dass wir Menschen doch auch nette, freundliche und gute Wesen sind und er an uns Freude hat. Ganz persönlich würden wir hier wohl auch unseren Glauben anführen und sagen: Schließlich sind wir ja auch Christen und auf Jesus Christus getauft. Und wir sprechen das Glaubensbekenntnis doch aus ehrlichem Herzen mit, wenn wir darin sagen: "Ich glaube an Gott den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde ..." Warum sollten wir Gott also nicht gefallen und er uns dafür lieben?

Hören wir noch einmal auf Johannes: "Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden."

Es ist Zeit und hier wieder einmal eine gute Gelegenheit die Gedanken, dass Gott uns liebt, weil wir so gut und ihm so wohlgefällig wären, fallen zu lassen! Kein Mensch, nicht einer!, kann die Liebe Gottes durch sein anständiges Wesen, seinen guten Charakter, seine Leistung, seine Werke, sein lauteres Denken oder seine freundlichen Worte auf sich ziehen! Es gibt nur eins, es gibt nur einen, der uns bei Gott liebenswert macht, der heißt Jesus Christus. Und das hat er durch sein Leben, sein Leiden und seinen Tod für uns getan. Durch sein Opfer am Kreuz sind wir mit Gott versöhnt. Durch ihn leben wir in der Liebe Gottes und diese Liebe ist niemals Antwort auf unser Wohlverhalten!

Wie von selbst kommt uns bei "Liebe" ja auch der "Glaube" und die "Hoffnung" in den Sinn und die Worte des Paulus (1.Kor. 13,13), der gesagt hat: "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen." Und es ist schon verständlich, dass uns die zwei anderen Tugenden, Glaube und Hoffnung gerade jetzt einfallen, denn mit ihnen ist es ganz ähnlich wie mit der Liebe: Auch sie können wir uns nicht verdienen. Auch sie sind nicht irgendwann in uns, weil wir so gut und fromm gewesen wären. Der Glaube ist freies Geschenk Gottes. Die Hoffnung - eine Gabe, die nicht aus unserer Leistung oder Mühe herkommt. Glaube, Liebe Hoffnung ... es lag und liegt nicht an uns, wenn wir sie in unserem Herzen empfinden - und doch will Gott uns damit beschenken und tut das auch, so dass wir nur staunen und uns wundern können.

Spätestens hier fragen wir uns denn doch, was wir aus uns selbst eigentlich tun können, um in den Kreis der Liebe einzutreten? Hier ist die Antwort des Johannes: "Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen." AMEN