Predigt zum 3. Sonnt. nach Trinitatis - 20.6.2010

Textlesung: 1.Tim. 1, 12 - 17

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde!

Diese Worte des Paulus zu predigen war zu allen Zeiten nicht leicht. Aber ich glaube doch, es wird heute noch immer schwieriger. Was ich damit meine, wird besonders an einem Satz aus diesen Versen deutlich - wobei ich den Schluss des Satzes jetzt erst einmal weglasse: Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen ..." Sagen Sie einmal ganz ehrlich: Das gefällt Ihnen doch auch nicht, wenn immer wieder auf der Sünde herumgeritten wird!? Und in unseren Tagen ist es doch wohl allgemein so, dass die Sünde - aber ich sage hier besser: das Sprechen über die Sünde - kaum noch eine Rolle spielt.

Denken Sie doch nur, Sie kämen den Bankern und Spekulanten, die unser Finanzsystem in Schieflage gebracht haben und jetzt unsere Währung unter Druck setzen, damit, es wäre aber Sünde, was sie tun und im Grunde ein Verstoß gegen das 7. Gebot ("Du sollst nicht stehlen!"). So etwas zu sagen, darauf käme noch nicht einmal jemand aus der Regierungspartei mit dem "C" im Namen und mit einer evangelischen Pfarrerstochter an der Spitze! Nein, das ist Tabu, so zu reden. Das tut man nicht.

Aber ich sage jetzt zwei Dinge ganz deutlich: Erstens ist es meiner Meinung nach Sünde, sich so zu Verhalten wie es viele Bankmenschen und Börsianer getan haben und immer weiter tun. Denn es stand und steht betrügerische Absicht hinter ihrem Verhalten und sie eignen sich vorsätzlich und auf geschickte Weise (durch finanztechnische Luftnummern) Geld an, das ihnen nicht gehört. Und zweitens denken viele Menschen unserer Tage - auch Politiker in allen Lagern! - durchaus, dass es Sünde ist, was diese Leute tun - nur sprechen sie das nicht mehr aus. Warum? Weil es ihnen peinlich ist, solche alten, vermeintlich nicht in unsere Zeit passenden Begriffe in den Mund zu nehmen. Ja, sie schämen sich und befürchten, als religiöse Spinner oder Fanatiker in eine Schublade gesteckt und abgetan zu werden. - Und ich fürchte, manche von uns gehören auch zu diesen "Menschen unserer Tage", die sich nicht mehr trauen, Sünde Sünde zu nennen und sie als solche zu bezeichnen und anzuprangern.

Warum aber rede ich hier so lange über dieses unangenehme Thema? - Darum: Weil "Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen ..." Und damit ist durchaus nicht gemeint, dass Christus auch die Sünder selig machen will, neben denen, die gerecht und vor Gott in Ordnung sind. Vielmehr ist er zu allen Menschen gekommen, denn alle sind Sünder vor Gott, auch wo sie davon nichts hören und wissen wollen und es nicht wahrhaben möchten.

Aber das entschuldigt sie ja nicht wirklich! Wenn einer gegen ein weltliches Gesetz verstößt, fragt ja auch keiner, ob er das Gesetz, das er gebrochen hat, wahrhaben oder anerkennen will, ja, es interessiert nicht einmal, ob er das Gesetz kennt! Der tiefste Grund dafür, dass Menschen sich heute nicht mehr als Sünder und Sünde nicht als einen Gesetzesbruch verstehen, scheint also darin zu liegen, dass sie die Instanz, die etwas Sünde nennt, also Gott, nicht mehr anerkennen.

Gut, könnten wir nun sagen, so ist das halt heute. Und vielleicht fügen wir noch hinzu: "Da können wir nichts machen und nichts daran ändern." Ich möchte dieser Meinung widersprechen - und das mindestens aus drei Gründen:

Einmal sehen wir daran, dass die Regierungen Europas den Verursachern der Finanzkrise jetzt mit Gesetzen Einhalt gebieten wollen, dass man ihre Transaktionen und Spekulationen durchaus nicht als in Ordnung ansieht - auch wo man sie nicht Sünde nennen will.

Dann bin ich überzeugt davon, dass auch die Spekulanten selbst - besonders die ersten Urheber der Krise im zumindest äußerlich viel religiöseren Amerika! - sehr wohl wissen, dass sie vor Gott nicht mit ihrem Treiben und Handeln bestehen könnten.

Und das dritte schließlich ist dies: Ich glaube fest, dass auch wir etwas gegen die Sünde in der Welt und dagegen, dass von ihr immer weniger gesprochen wird, tun können.

Aber wir wollen jetzt die Finanzkrise und die Leute, die sie verschuldet haben, verlassen. Es gibt ja weiß Gott auch noch andere Bereiche des öffentlichen und auch des persönlichen Lebens, in denen die Sünde sich breit macht und die Herzen der Menschen vergiftet und verführt - und doch spricht sie auch dort kaum jemand an.

Wenn es also stimmt, dass wir immer noch nicht das klare Wissen verloren haben, dass es die Sünde gibt und dass sie überall mächtig ist und wenn es stimmt, dass den Sündern das Bewusstsein ihrer Sünde selbst auch nicht fehlt, dann kann unser Auftrag als Christinnen und Christen in dieser Zeit eigentlich nur sein, dieses Wissen und dieses Bewusstsein in unserem privaten Umfeld und soweit es geht auch in der Öffentlichkeit wieder zur Sprache und ins Gespräch zu bringen. Eines ist ja doch ganz klar: Dinge, über die man noch so beharrlich schweigt, verschwinden doch nicht! Wenn wir ein Tabu auf die Sünde legen, ist sie deshalb ja nicht unwirksam.

Nehmen wir nur einmal ein anderes Tabuthema: den Tod. In höheren gesellschaftlichen Bereichen macht man sich mit seiner Erwähnung meist äußerst unbeliebt. Im Fernsehen hat er überwiegend als Mord im Krimi seinen Platz, über das normale Sterben - auch noch im Altersheim nach vielleicht langem Siechtum - ist selten etwas zu hören oder gar zu sehen. Auch in vielen Familien darf über den Tod nicht gesprochen werden. Schon gar nicht vor den Kindern! - Aber ist er deshalb aus der Welt? Hat er darum keine Macht mehr? Im Gegenteil: Je mehr wir den Tod totschweigen, um so stärker wird seine Gewalt über uns und die Angst vor ihm.

Auf der anderen Seite hilft es den Menschen, die ihn nicht aus ihrem Leben verdrängen, die sich ihm stellen und über ihn reden, die Furcht vor ihm zu verlieren und mit ihm vertraut zu werden. Und das wiederum macht ihnen den unausweichlichen Abschied von anderen Menschen und das eigene Sterben leichter.

Nicht anders ist das mit der Sünde: Wenn wir sie nicht aus unseren Gedanken hinausdrängen und verschweigen, sie vielmehr als mächtig wahrnehmen und annehmen und über sie sprechen, dann beginnt sie von ihrer Macht abzugeben, ihr Einfluss wird kleiner und sie kann uns nicht mehr so bedrücken und bestimmen wie vorher. Und noch etwas - und hier gehört jetzt auch das Ende des Satzes des Apostels hin, den ich zunächst weggelassen habe: "Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, ... unter denen ich der erste bin", sagt Paulus. Er bekennt damit auch von sich selbst, ein Sünder zu sein - und was für einer!, müssten wir hinzufügen. Denn auch darüber schweigt er nicht, denn er sagt von sich, dass er "früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler" war und das stimmt ja auch, wenn wir uns seiner Lebensgeschichte erinnern.

Aber was sagt uns das nun alles? - Das Sprechen und der Umgang des Paulus mit der Sünde könnte vorbildlich für uns sein. Dabei ist es gewiss noch recht einfach, Sünde - da wo es hingehört - auch Sünde zu nennen. Wir dürfen dabei darauf vertrauen, dass auch die meisten anderen Menschen noch nicht das (Ge-)Wissen verloren haben, dass dieses oder jenes Tun und Handeln nicht mit dem Willen Gottes im Einklang steht. So könnte allmählich in unserer Umgebung wieder die Sache Gottes zu ihrem Recht kommen, indem die Sünde wieder angesprochen und ein Verstoß gegen Gottes Willen genannt wird.

Schwieriger ist es sicher schon, sich auch selbst - wie Paulus das tut - eine Sünderin, einen Sünder zu nennen. Dazu ist viel Vertrauen zu den Mitmenschen nötig. Aber dieses Vertrauen wächst, je mehr wir die Sünde wieder zu einem Thema zwischen uns machen und werden lassen. Es zieht uns ja eigentlich nicht herunter, wenn wir uns zu unserer Sünde bekennen, sondern es zeigt uns den unendlichen Wert, den wir vor Gott haben, denn es "ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen!"

Liebe Gemeinde, es mag sein, wie verstehen das immer noch nicht ganz, warum Gott mit uns diesen Weg geht, dass er uns Sünder heißt und wir auch - ohne Christi Opfer am Kreuz - Sünder sind und bleiben. Aber lassen wir uns doch durch Jesus Christus von Sünde und Tod freimachen und mit Gott versöhnen und stimmen wir ein in das Lob, mit dem schon Paulus seine Freude an Gottes Güte uns Sündern gegenüber ausgedrückt hat: "Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen."