Predigt zum 1. Sonnt. nach Trinitatis - 6.6.2010

Textlesung: 1. Jh. 4, 16 - 21

Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.

Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?

Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.

Liebe Gemeinde!

Liebe, Liebe und noch einmal Liebe ... Fast übersieht man, dass auch noch von anderen Dingen die Rede ist. Von der Zuversicht zum Beispiel, vom Gericht und von der Furcht davor - und bei der Furcht, die hier gleich viermal vorkommt, bin ich heute hängen geblieben. Und ich denke auch, es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, ob es stimmt, was hier behauptet wird: "Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus ..."

Wir merken schnell, dass hier eine besondere Liebe gemeint ist, eben "die Liebe, die Gott zu uns hat". Und umgekehrt geht es dann um unsere Liebe zu Gott, mit der wir erfüllen, was gemeint ist, wenn es hier heißt: "Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt." In dieser Liebe von Gott zu uns und von uns zu Gott hat die Furcht keinen Platz. Bei jeder anderen Liebe ist das anders, etwa bei der Liebe zu unseren Mitmenschen: Insgeheim fürchten wir wohl oft, dass unsere Liebe ausgenutzt oder verachtet wird. Denn wir wissen nie, wie der Mitmensch wirklich denkt und ins Herz sehen kann keiner dem anderen. Und selbst die Liebe, die wir zu unserem Partner, unserer Frau, unserem Mann empfinden, ist nicht frei von Furcht: Ob meine Liebe ehrlich erwidert wird? Ob die Liebe meines Lebensgefährten nicht längst abgekühlt oder ganz eingeschlafen ist? Und selbst wenn wir unsere eigene Liebe zu unserem Partner ansehen, gibt es etwas zu fürchten: Ob ich ihn wohl wirklich noch herzlich liebe oder ob bei mir die Liebe nicht längst der Gewohnheit gewichen ist?

Das ist bei der Liebe Gottes zu uns anders und es soll bei unserer Liebe zu Gott anders sein. Furcht hat keinen Raum in ihr. Das macht sie einzigartig und wertvoll, beglückend und schön!

Aber schauen wir jetzt, wie wir erkennen, ob wir wirklich in dieser Liebe sind. Hier ist das Kennzeichen, an dem wir das merken: "Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts! ... Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe."

Vielleicht denken Sie hier ja: Wer interessiert sich in unseren Tagen schon noch für das Gericht!? Wer von unseren Zeitgenossen lebt denn wirklich in dem Bewusstsein, dass seine Taten in dieser Welt einmal geprüft, beurteilt und bestraft werden könnten? Ja, hin und wieder - wenn die Menschen überhaupt noch religiös und kirchlich sind - werden sie diese Gedanken haben: Beim Abendmahl am Karfreitag vielleicht oder beim Hören einer Ansprache bei einem Beerdigungsgottesdienst, dessen Besuch für sie unvermeidlich war.

Liebe Gemeinde, ich sehe und erfahre da immer wieder etwas ganz anderes: Das Gericht oder sagen wir jetzt einmal: die Furcht vor dem Gericht und vor der Strafe, die unser Leben mit unserem Tun und Lassen vielleicht auf sich gezogen hat, beschäftigt die Menschen viel mehr als sie mit ihrem Reden und Verhalten zeigen und als wir ihrem Gesicht und ihren Gesten absehen und aus den meist oberflächlichen Alltagsgesprächen heraushören!

Wir können sicher auch das sagen: Das Gefühl, mit unserem ganzen Leben, unserem Reden, Entscheiden und Handeln in Schuld verstrickt zu sein, ist bei den meisten Menschen unserer Zeit durchaus noch lebendig! Und wie selbstverständlich gehen diese Menschen auch davon aus, dass alles, was ihnen geschieht, was ihnen misslingt oder sie in Trauer und Leid führt, auch immer etwas mit ihrem Leben und Handeln zu tun hat. Und wir können es ruhig aussprechen: Es wird immer noch und immer wieder auch als Strafe empfunden, was ihnen geschieht! Sicher gilt auch umgekehrt, dass besonders schöne Ereignisse, Glück und Freude als Lohn für das angesehen werden, was sie an Gutem getan haben und was ihnen gelungen ist. Und ich glaube: Bei den meisten von uns, die wir hier zum Gottesdienst versammelt sind, ist das nicht anders. Wie kämen wir sonst dazu, immer wieder einmal so zu fragen: "Warum nur schickt mir Gott dieses Leid?" - "Was hat die oder der nur getan, dass ihm dieses Unglück zustößt?" Und ganz gewiss haben wir auch schon so gedacht oder geredet: "Ich bin mit meinem Schicksal eigentlich ganz zufrieden - aber ich bemühe mich ja auch, ein guter Christ zu sein." - "In letzter Zeit kann ich mich über mein Leben nicht beklagen, aber wenn einer das auch einmal verdient hat, glückliche Tage zu haben, dann bin ich das!" So oder ähnlich zeigen wir, dass es auch für uns ganz selbstverständlich einen Zusammenhang gibt zwischen dem, was wir tun und wie wir uns verhalten und dem, wie es uns dann ergeht und wie unser Leben verläuft. Und immer sind auch Gedanken an das Gericht und Gottes Urteil über uns beteiligt und die Furcht vor Strafe und das Bewusstsein von Schuld.

Ich gehe soweit, dass ich behaupte: Selbst Menschen, die sich nicht als gottgläubig bezeichnen würden, empfinden so. Denn auch sie können wir so sprechen hören: "Warum muss mir das gerade passieren?" Oder: "Wieso gelingt diesem unmöglichen Kerl eigentlich immer alles, der ist doch nun wirklich kein guter Mensch?! Auch sie geben damit ihrem Gefühl Ausdruck, dass es eine höhere Instanz gibt, die uns beurteilt und richtet und jedem nach seinem Tun und Lassen, seiner Freundlichkeit oder seiner Bosheit zuteilt, was er verdient hat. Und ganz in der Tiefe des Herzens ist bei diesen Menschen immer auch die Angst vor diesem Urteil zu spüren.

Dieses Denken und Empfinden soll nun aber verkehrt sein? - Zumindest müssen wir diese Worte aus dem 1. Johannesbrief so verstehen: "Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts! ... Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe." Aber was sollen wir jetzt tun. Wie sollen wir dieses Denken überwinden und die Angst ablegen?

"Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt", sagt Johannes. Zunächst ein ganz unscheinbarer Satz. Wenn wir ihn aber einen Augenblick betrachten und über ihn nachdenken, dann ist er eine große Hilfe gegen die Furcht und die Antwort auf die Frage, was wir jetzt tun sollen: Gott hat uns zuerst geliebt! Das vergessen wir immer so leicht! Besonders, wenn unser Leben nicht so verläuft, wie wir es uns wünschen, kommt uns das aus dem Sinn. Aber es bleibt doch dabei, dass Gott uns aus dem Nichts in die Welt gerufen und das Leben geschenkt hat. Es sind doch Tatsachen, dass wir eine schöne Kindheit haben durften, die Schule besuchen und etwas lernen konnten. Und auch später haben wir viel Güte und Liebe Gottes erfahren: Wir haben eine gute Frau, einen lieben Mann gefunden, gesunde Kinder bekommen, Enkel inzwischen ... Wir hatten immer unser Auskommen und sind leidlich gesund und wir müssen uns, was unsere Zukunft angeht, eigentlich keine Sorgen machen: Es wird gehen. Und selbst wo das eine oder andere davon bei uns nicht zutrifft, bleibt doch bei jeder und jedem von uns genug übrig, wofür wir Gott nur loben und ihm danken können!

Und vergessen wir auch das nicht: Wir durften zum Glauben an Jesus Christus finden und haben durch ihn nicht den Tod, sondern die Auferstehung und die Ewigkeit in Gottes Nähe vor Augen.

Wenn wir an all diesen unverdienten Geschenken Gottes einmal wieder seine Liebe zu uns erkennen und wirklich mit unserem Herzen wahrnehmen, dann wird auch unsere eigene Liebe zu Gott sich verwandeln: All diese Gaben gibt Gott uns doch ganz frei und ohne irgendetwas zurückzufordern! Was sollten wir ihm denn auch zurückgeben können, was er von uns nötig hätte? Gottes Liebe ist vollkommen. Sie gibt nicht, um dann nehmen zu können. Sie will keinen Ausgleich für das Glück, das sie uns schenkt. Sie lässt uns frei - auch darin, ob wir ihn nun auch lieben wollen. Wovor also Angst haben? Welches Gericht sollten wir fürchten? Wir sind Gott nichts schuldig, wenn er uns liebt, welche Schuld sollte er also bestrafen? Und Gott liebt uns, weil sein Sohn Jesus Christus für uns ans Kreuz gegangen ist. - Aber welchen Grund sollte es nun geben, Gott nicht herzlich und dankbar wiederzulieben? Und ich bin ganz sicher, die Freude und die Dankbarkeit wird bei uns auch noch dazu reichen, zu erfüllen, was Johannes uns am Ende sagt: "Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder (und seine Schwester) liebe." Ich glaube, das ist für uns, die so reich mit Gottes Liebe beschenkt sind, nicht schwer!