Predigt zum Sonntag "Estomihi" - 14.2.2010

1. Textlesung: 1. Kor. 13, 1 - 13

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Liebe Gemeinde!

Uns mag nach Karneval zumute sein, nach Frohsinn- und Ausgelassenheit, nach Vergnügungen und Maskerade ... der Wochenspruch für diesen Sonntag weist schon in eine andere Richtung: "Sehet, wir gehen hinauf nach Jerusalem ..." (Lk. 18,31) Der Weg zu Kampf und Leiden wird eröffnet. Ein Spaziergang wird das nicht werden; eine Idylle wird nicht versprochen. Die Passionszeit bricht an in dieser Woche. Wenn Rosenmontag und Faschingsdienstag und ihr Humba-täterä verklungen sein werden, dann ist Aschermittwoch. Da können wir in der Ferne dann schon Golgatha sehen, mit dem Kreuz obenauf. Zuvor aber, heute am Sonntag Estomihi, wird das Hohelied der Liebe angestimmt:

Die Liebe ist langmütig, sie ist gütig, eifert nicht, prahlt nicht ... Oh, so schöne Worte! Leider aber ist uns dieses Kapitel des 1. Korintherbriefs ganz schrecklich ins Sentimentale abgerutscht. Das merkt man schon an der kitschigen Überschrift eines "Hohen Liedes", die in den meisten Bibeln über diesem 13. Kapitel steht. Bevorzugt wird dieser Text bei Hochzeitsfeiern verwendet, so als wären die ineinander gelegten Hände eines jungen Paares die einzige Illustration zu unseren Versen. Dabei gehen sie uns alle an. Denn wenn hier von Liebe die Rede ist, dann wird auch von Jesus gesprochen, der uns allen vorgelebt hat, was Liebe heißt. Und diesen Jesus Christus, den wir unseren Herrn nennen, führt diese Liebe hinauf nach Jerusalem, ... dort wird, wie es weiter im Wochenspruch heißt, "... alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.", dort wird unser Herr sein Leben für uns in die Schanze schlagen.

Ins Sentimentale, Gefühlige abgerutscht und kitschig, sagte ich, sind diese Worte. Das war nicht immer so, aber wenn man dieses Hohelied meistens bei Gelegenheit einer Hochzeit oder ähnlicher Anlässe hört, dann verbinden sich für uns Situation und Text - und unsere Gefühle übertragen sich auf die Worte. Was kann man da tun?

Vielleicht sollten wir einmal nach der ursprünglichen Gelegenheit fragen, in die hinein Paulus diese Worte gesprochen hat?: Die Korinther hatten um klare Weisungen gebeten, wie sie das Leben in der Nachfolge Christi bestehen sollen. Sie schauten sehnsüchtig nach Wegweisern aus. Welcher umher irrende Wanderer unserer Tage, welcher Autofahrer, der sich im Kreisverkehr fremder Städte hoffnungslos verfahren hat, kennt das nicht: "Wo ist die Richtung? Wo ist ein Weg?" - "Wie werden wir dem gerecht, was dieser Herr für uns getan hat?", so fragte man in Korinth. - In diese Fragen hinein spricht Paulus von der Liebe: Das ist der Weg, den ihr sucht, Liebe!, die erträgt alles, hofft alles, duldet alles ... Ich habe es ja schon erwähnt, uns müsste er das gewiss anders sagen. So gut wir die Verse kennen und so oft wir sie bei einer Hochzeit gehört haben, gehen sie uns, fürchte ich, nicht mehr unter die Haut! Das sind irgendwie Worte, die uns heruntergehen wie Öl, sie hören sich zu gut an ...

Liebe Gemeinde, darf ich's jetzt einmal anders versuchen? - Ob Paulus uns das heute vielleicht so sagen könnte?: Ihr grübelt über den Sinn des Lebens nach, ja, ihr fragt euch, wo ist Wahrheit, was trägt wirklich, wie leben wir recht und richtig? - Ich will euch einen Weg zeigen, einen, den ihr nicht in der Schule gelernt habt und nicht auf der Straße und im alltäglichen Lebenskampf auch nicht, einen Weg, der auf keiner Landkarte verzeichnet ist, und den ihr in Ratgebern für dieses oder jenes vergeblich sucht. Ich sage euch einen Weg durch's Leben, der alles Maß übersteigt, euer bürgerliches Mittelmaß, euer jugendliches Übermaß und auch eure maßvolle Altersweisheit. Dieser Weg heißt: Liebe!

Wenn ihr diesen Weg nicht findet und geht, dann könnt ihr einpacken. Dann ist alles, was ihr sonst gelernt, probiert, gedacht und getan habt, dann sind all eure Lebensentwürfe null und nichtig. Ihr könnt sie vergessen. Sie sind keinen Pfifferling wert und am Ende bleibt nichts davon. Wenn da zum Beispiel einer oder eine - ohne zu stottern und ohne unsicher zu werden - reden kann, klar und überzeugend, hinreißend und unwiderstehlich, verlockend und drohend, süß und betörend, messerscharf und steinerweichend, so gut wie Steinmeier und Merkel zusammen - könnte aber nicht lieben, dann wäre er oder sie nur zu vergleichen mit einer verrosteten Glocke in einer Kirchturmsruine, die der Wind anschlägt, oder mit einer scheppernden Konservendose, die ein Junge mit dem Fuß über's Pflaster treibt. Und wenn ich wüsste, was immer es zu wissen gibt: Wenn ich jetzt schon wüsste, wie die nächste Bundestagswahl ausgeht und ob wir im Jahr 2030 noch genug Energie und Luft zum Atmen haben werden und ob noch alle Nordseehalligen über dem Wasserspiegel liegen, und wenn ich von der Vergangenheit soviel wüsste wie ein Geschichtsprofessor, von der menschlichen Seele soviel wie Sigmund Freud und von Kommunismus soviel wie Karl Marx, und wenn ich einen Glauben hätte wie Martin Luther und der Papst zusammengenommen oder wenigstens soviel, wie ihn meine Großmutter noch hatte - aber von der Liebe hätte ich keine Ahnung, dann wäre ich eine glatte Null. Und wenn ich alles, was ich besitze, herschenkte: mein Auto und meine Kleider, meinen Flachbildschirm und meine Stereoanlage, wenn ich meinen Mantel und meine Schuhe den Tippelbrüdern an meiner Haustür oder am Bahnhof gäbe, wenn ich die Einlage meines Sparbuchs abhöbe, um Reis und Medikamente für die geschundenen Menschen auf Haiti zu kaufen, wenn ich mich am Ende bei einer Demonstration gegen Atomwaffen und für den Weltfrieden oder gegen irgendeinen Machthaber auf der ........straße mit Benzin übergösse und zur lebendigen Fackel würde - und würde es nicht aus Liebe zu irgendeinem Menschen tun - dann würde das niemandem und nichts helfen.

Und wenn ich klug, fromm, stark, lebenstüchtig, mutig und überlegen, beliebt und gefürchtet wäre, beneidet von allen meinen Freunden und Feinden - könnte aber diese meine Freunde und Feinde (ja, auch sie!) nicht wirklich lieben - dann wäre ich ein Stein oder ein Klumpen Eis und die Leute würden in meiner Nähe eine Gänsehaut bekommen ...

Könnte Paulus so zu uns reden? Würde er so reden? Kann man so überhaupt reden? Und darf man das aus solchen erhabenen Texten machen, was ich eben gemacht habe? Darf man da hinunter steigen ... in diese Niederungen des Lebens, der Sprache: ... scheppernde Konservendose ... keinen Pfifferling wert ... glatte Null ... Und dann bei diesen Thema: Liebe.

Beginne ich noch einmal: Der Wochenspruch für diesen Sonntag weist eine andere Richtung: Sehet, wir gehen hinauf nach Jerusalem ... Der Weg zu Kampf und Leiden wird eröffnet. Ein Spaziergang wird das nicht werden ... Die Liebe selbst ist da unterwegs. Sie geht selbst den Weg in die Niederungen des Lebens und dieser Welt, dorthin, wo es auf dieser Erde an dunkelsten ist, dort warten Leiden und Tod.

Liebe Gemeinde, müsste ich nicht sogar reden? Darf ich denn überhaupt von der Liebe in solch erhabenen Worten sprechen? Muss ich nicht dieses "Hohe Lied" herabziehen dorthin, wo unser wirkliches Leben spielt? Wie soll denn sonst deutlich werden, wohin sie und führt, diese Liebe. Der Weg, der hier gewiesen wird, hebt nicht ab von der Erde, beileibe nicht, sondern geht dicht über sie hin, hinab in Wüsten und Durststrecken und vorbei an den Liegeplätzen der Bettler unserer Zeit, der Aussätzigen unserer Gesellschaft und den Armen, die Hunger leiden an der Liebe. Das sind die Stationen dieses Weges und für uns Gelegenheiten zur Liebe. Das sind keine Gelegenheiten zur Selbstbeweihräucherung, zur Selbstentfaltung und Selbstbestätigung. Für die eigene Erbauung und Erhebung springt da nichts heraus. Wie nebenbei werden wir auf diesem Weg lernen müssen, auf Eitelkeiten zu verzichten, eigene Interessen bewusst zurückzustellen, extravagante Kapriolen zu verurteilen, Vorurteile abzutun, uns Schadenfreude zu verkneifen ...

Hört sich alles sehr düster an, nicht wahr, nicht sehr verlockend. Immerhin: Einer ist ihn vorausgegangen, diesen Weg der Liebe. Von ihm sagt man, dass er seine Gemeinde hinter sich her ruft. Ich glaube fest, dass sein Weg der Liebe der Weg ins Leben ist. Der einzige Weg! AMEN