Predigt zum 1. Sonnt. n. Epiphanias - 10.1.2010

Textlesung: Röm. 12, 1 - 3; 4 - 8

Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.

Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat. Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Liebe Gemeinde!

Diese Worte des Paulus kommen wirklich gerade recht! Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht, aber ich empfinde diese Mahnungen genau passend für gerade unsere Zeit!

Nehmen wir etwa diese: "... stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes ..." Müssen wir das nicht beklagen, dass es überall gleich zugeht? In der Wirtschaft, im Beruf und in der Politik. In der Gesellschaft und im Privatleben. In den weltlichen Bezügen und leider auch in der Kirche und der Gemeinde. - Aber was ist das eigentlich, was wir da beklagen müssen? Wie geht es denn zu?

Jeder denkt zuerst an sich selbst und wenig an die Mitmenschen. Das hört sich so an: Wie komme ich weiter in meiner Karriere? Wie kriege ich den höher dotierten Posten? Wie kann ich verhindern, dass mir die oder der in die Quere kommt. Oder so: Wie kriege ich mehr Ansehen? Würde eine Mitgliedschaft in einer Partei helfen? Welche Leute sollte ich einmal einladen und welche Beziehungen sind meiner Stellung nicht mehr angemessen? Oder auch so: Ich halte eigentlich ja nichts von der Sache, aber es kann ja nichts schaden, sich hie und da in der Kirche sehen zu lassen. Ich bin zwar nicht gläubig, aber es ist sicher nicht gut, das zu offenbaren und vor anderen darüber zu reden.

Dieses Denken, diese Lebenshaltung, die nur das Ihre sucht, macht sich immer breiter und verdrängt nach und nach alles Interesse an und jedes Mitgefühl mit anderen und die Bereitschaft, ihnen in ihren Sorgen und Nöten zu helfen und sich für sie einzusetzen.

Gewiss hat das Gründe, die außerhalb unserer selbst liegen: Die Wirtschaftskrise fällt uns ein. Die schweren Zeiten, die wohl noch lange nicht überstanden sind. Die allgemeine Kälte in der Gesellschaft, die - wie könnte es anders sein? - auch nach uns greift. Und überhaupt: Wenn die anderen doch auch nur um sich kreisen! - Man könnte mit diesen Ausflüchten als Entschuldigungen zufrieden sein, wenn da nicht die vielen Menschen wären, die es Gott sei Dank auch noch gibt, die von dieser Kälte nicht angegriffen werden und die bei diesem Kreisen um den eigenen Bauch nicht mitmachen, die sich vielmehr ihre innerste Einstellung und ihre Werte nicht nehmen lassen.

Mir fällt der Politiker ein, der für seinen Wahlkreis eine Beratungsstunde eingerichtet hat, an die man sich in allen juristischen Fragen wenden kann, ohne dass Kosten entstehen. Mir fällt der andere Politiker ein, der mit dem Fahrrad zum Bundestag fährt und auch während Plenardebatten auf seinem Platz sitzt, bei denen nicht von der Fraktion unbedingte Anwesenheit angeordnet wurde.

Dann denke ich an einige Menschen, die ich kenne, die auch in gehobener Position an ihrem Arbeitsplatz oder der Gesellschaft menschlich und mit denen verbunden geblieben sind, aus deren Reihen sie kommen. Und ich denke an Frauen und Männer, die einmal für einen Beruf angetreten sind, der das Wohl der anderen im Blick hat - und die ihm trotz aller Schwierigkeiten und Belastungen, die er mitbringt, treu bleiben.

Schließlich gibt es auch solche in Kirche und Gemeinde, die ihre Bodenhaftung nicht bei erster Gelegenheit aufgeben: Da ist die Pfarrerin, die das Angebot, in die Kirchenleitung zu wechseln, ausschlägt, weil sie ihre Gemeinde nicht im Stich lassen will. Da ist der Kirchenvorsteher, der gegen eine Gemeindepolitik aufsteht, die nur noch für die "guten" Gemeindeglieder da ist und die Schwachen und die Außenseiter vergisst - genau die also, die nach dem Wort unseres Herrn, unsere besondere Fürsorge verdient haben.

Ich glaube, all diese Menschen erfüllen den Rat des Paulus: "Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat."

"Maßvoll von sich selbst halten ..." Ich denke, unser "Maß" ist bekannt und davon spricht Paulus auch ziemlich klar und deutlich: "Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist."

"Ein Leib in Christus", das ist nichts anderes als die Gemeinde! Sie ist uns Maß. Auf sie sind wir bezogen, wenn wir Christen sein wollen. Und wo das nicht (mehr) so ist, da ging uns das rechte Maß verloren und wir müssen es wieder gewinnen.

Sie werden vielleicht sagen: Das hört sich gut an und das wäre sicher auch richtig. Nur: wie geht das und ist das nicht sehr schwierig? Es ist ja doch überall dieses harte Denken eingezogen. Es kreisen ja doch in allen gesellschaftlichen Bereichen die Menschen heute mehr um sich als noch in Zeiten, in denen wir alle weniger hatten. Und auch das ist doch eine Anfechtung: Wenn die anderen dann nicht mitziehen und ich am Ende allein dastehe ... mit meiner Menschenliebe und meiner Treue zu den inneren Werten?

Liebe Gemeinde, drei Hilfen sehe ich dabei, es mit einer glaubhaft christlichen Haltung und einem Leben in der Spur Jesu Christi zu versuchen. Die erste ist die - und sie ist ja auch schon deutlich geworden: Wir sind niemals ganz allein damit. Es gibt - und gerade in der Kirchengemeinde! - viele andere, die ihre christliche Überzeugung nicht am Ausgang der Kirche nach dem Sonntagsgottesdienst abgeben. Und man kann miteinander auch darüber reden, wie schwierig das doch manchmal ist, das im Leben umzusetzen, was wir zum Beispiel hier und heute von der Kanzel herab hören. Das stärkt! So können wir uns gegenseitig Mut machen und anspornen.

Die zweite Hilfe ist die, wie sie hier anklingt: "... untereinander ist einer des andern Glied, und [wir] haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist." Es gibt gewiss bei jeder und jedem von uns etwas, worin wir besonders geübt und sicher sind, was wir gern tun und womit wir Erfahrung haben und was uns darum heute näher liegt als anderes. Es muss nicht gleich und nicht für alle das sein, was Paulus hier nennt: ... prophetische Rede ... Lehre ... Ermahnung ... und auch ein Amt hat nicht jeder von uns und der Gemeinde stehen auch nur wenige vor. Das ist mehr die Sache von denen, die eine Sonderbegabung, eine spezielle Ausbildung haben oder dafür gewählt worden sind. Aber das etwa können wir alle befolgen: "Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern." Und das ist nicht wenig, wenn wir uns hierin üben und wenn wir treu dabei bleiben und uns nicht an die Strömungen dieser Zeit anpassen. Und die Übung festigt und hält uns immer enger bei dieser Haltung und diesem Leben, in dem die anderen Menschen, besonders die Zu-kurz-Gekommenen, die Schwachen und die Armen nicht vergessen werden, sondern im Mittelpunkt unserer Liebe und unseres Handelns stehen.

Schließlich ist da noch die dritte Hilfe, die der bekommt, der sich auf ein christliches Leben gegen den allgemeinen Trend einlässt: Das ist die Freude, die das schenkt! Vielleicht können wir es auch Segen nennen, der auf und in allem Denken und allen Taten liegt, die aus unserem Herzen als Christinnen und Christen kommen. Ich glaube fest, dass unser himmlischer Vater in allen Gedanken, die wir haben und allen Werken, die wir im Geiste seines Sohnes Jesu Christi und tun, seinen Segen verborgen hat. Dieser Segen und die Freude, die er schenkt, kommt erst in unser Herz, wenn wir diese Gedanken umsetzen und die Taten wirklich tun. Dann aber bekommen wir eine Ahnung davon, was es heißt und was es uns doch auch schenkt, in der Spur unseres Herrn zu bleiben.