Predigt am 1. Christtag   -  25.12.2009

Textlesung: Tit. 3, 4 - 7

Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.

Liebe Gemeinde!

Keiner von uns kann jetzt sagen, er hätte diese Verse aus dem Titusbrief verstanden. Vielleicht sind ein paar Begriffe hängen geblieben: Freundlichkeit, Menschenliebe, Barmherzigkeit, Wiedergeburt, Erneuerung und Gnade ... ach, und am Ende war noch von Hoffnung die Rede! - Aber wie gehört das alles zusammen - und was sollen wir davon mitnehmen in unser Leben ab heute?

Ich bin nun weit davon entfernt zu behaupten, ich hätte alles an diesen Zeilen aus dem Titusbrief begriffen! Aber eine Ahnung davon habe ich doch bekommen. Und weil diese Ahnung gut zu dem passt, was uns das Evangelium in seinem Kern sagen will und weil das auch noch eine zutiefst weihnachtliche Botschaft ist, will ich sie jetzt vor Ihre Ohren und (hoffentlich) auch vor Ihre Herzen bringen: "Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit ..." - Wie von selbst kommen uns da die Bilder des Heiligen Abends vor die inneren Augen: Können wir Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe besser verstehen und ermessen, als wenn sich dieser Gott selbst in unser Menschenleben hinein begibt? Und dann auch noch dort, wo es am "tiefsten" ist, am ärmsten und schwächsten: als kleines Armeleutekind in einem Stall, in einer Futterkrippe in der Stadt Bethlehem, von der man damals als der kleinsten unter den Städten in Juda sprach. Und könnte es irgendwie deutlicher werden, dass es nicht um unsere Werke der Gerechtigkeit geht, wie wenn der Engel in der Heiligen Nacht zuerst gerade den Hirten, den verachteten Außenseitern der Gesellschaft, den Ärmsten der Armen die frohe Nachricht von der Geburt des Heilands zuruft und sie zum Besuch im Stall einlädt? Die hatten das doch zuletzt erwartet! Gott war doch ein Gott der Reichen, der Frommen und Gerechten! So glaubten sie. Wie groß muss ihr Erstaunen gewesen sein? Ja, werden sie nicht gezweifelt haben, dass es der Engel ernst meint mit dem, was er ihnen da verkündigt? - Ein Dichter unserer Tage (Martin Hausmann) hat das treffend in einem kleinen Text umgesetzt. Ich lese einmal den ersten Teil:

Das Hirtengespräch

Der mit dem Mantel dreht sich im Gehen um:
"Du sollst sehen, es bleibt alles, wie es war.
Wir haben keine Tröstung und keine Hilfe zu erwarten.
So war es, so ist es und so wird es sein."

"Warum gehst du dann mit uns?"
fragt die helle Stimme des Knaben,
"wenn du es so genau weißt, dass wir den Heiland nicht finden,
dann konntest du ja auch bei den Schafen bleiben."

Liebe Gemeinde, es liegt viel Resignation in diesen Worten, aber genauso viel Realismus: Es ist und bleibt wie es ist! Wir sind Hirten. Wir sind und bleiben Außenseiter, verachtet, wie Aussätzige angesehen. Wir leben am Rand der Gesellschaft. Keiner will mit uns zu tun haben. Keiner kümmert sich um uns, auch kein Gott und nicht sein Heiland! Und so war es eben auch - nicht nur für die Hirten, aber für die besonders! Die religiösen Führer hatten eine Religion geformt und durch ihre Lehre ausgebildet, die keinen Platz ließ für die Menschen am Rande, die keine Werke der Gerechtigkeit vorweisen konnten, die fern von Gott, fern von seinem Licht in der Dunkelheit, in Sünde und Schuld lebten - wie man meinte. Nein, auch die Frommen konnten sich das nicht vorstellen, dass Gottes Kind, der Heiland, zuerst die Hirten zu sich ruft!

Wie übertragen wir das jetzt in unsere Zeit, unsere Verhältnisse und unsere Vorstellungen vom christlichen Glauben? Vielleicht so: Wir sind nun weiß Gott in einer anderen Lage als die Hirten damals! In der Gesellschaft, zumal in unserer Kirchengemeinde sind wir integriert, anerkannt von den anderen, angesehen, mitten drin. Und dadurch hat sich auch in unser Denken und in unseren Glauben etwas eingeschlichen, was es uns schwer macht, das Evangelium zu fassen, so dass uns gerade auch die Geschichte der Weihnacht fremd und irgendwie unzugänglich erscheint. Ich will es einmal so ausdrücken: Uns ist über unserer Selbsteinschätzung, über unserem Urteil über uns selbst das Gefühl dafür abhanden gekommen, dass wir - genau wie die Hirten! - nicht erwarten durften, dass der große Gott nach uns sieht und uns für wert erachtet, uns seinen Heiland zu senden. "Eingeschlichen" hat sich dagegen bei uns die Meinung, wir wären im Großen und Ganzen doch eigentlich in Ordnung und Gott könnte mit uns doch auch sehr zufrieden sein!

Verstehen Sie das bitte recht: Wir sind ja auch ganz rechtschaffen! Wir sind gute Leute und sicher auch gute Christinnen und Christen! Aber - und das ist eben anders als bei den Hirten damals - wir haben schon an der Krippe gestanden, wir haben das Weihnachtswunder in jedem Jahr unseres Lebens immer wieder gehört und gesehen und wir haben eine bald 2000-jährige Geschichte der Christenheit und ihres Glaubens hinter uns. Aber das alles ist nicht unser Verdienst! Das können wir uns nicht als unsere Leistung anrechnen, sondern - und das macht uns wieder den Hirten gleich - es ist die Gnade Gottes gewesen und die Liebe seines Heilands, die uns zu diesem Glauben geführt und uns von Sündern zu Gerechten, von Randsiedlern zu Freunden und von Außenseitern zu solchen gemacht haben, die mitten drin stehen - in Gottes Liebe! - Ich glaube, jetzt verstehen wir die Worte aus dem Titusbrief besser, die ich jetzt fortführe:

"... nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit ... und Erneuerung im heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden ..."

Gnade ist es gewesen, wenn Gott damals gerade die Verachteten der Gesellschaft zu sich ruft. Barmherzigkeit war es, wenn er die Gestalt eines kleinen, schwachen Kindes wählt, um sich so noch kleiner zu machen als die Geringsten unter den Menschen.

Und genauso ist und bleibt es immer Gnade, wenn Gott mit uns eine Beziehung aufnimmt, uns seine Liebe in Jesus Christus schenkt, uns seine Kinder nennt und uns zu allem Überfluss noch zu Erben eines Ewiges Lebens machen will! Denn alles, was wir sind, alles was wir vielleicht mehr vorzuweisen haben als damals die Hirten, alles auch, was uns den Glauben an Gott und das Vertrauen zu Jesus Christus leichter macht als damals ihnen, ist Geschenk der Barmherzigkeit und der Gnade Gottes!

Aber wir wollen noch den Schluss des Textes des Dichters hören. Ich füge ihn jetzt an die letzte Zeile der Worte an, die ich vorhin schon gelesen habe. So hatte die "helle Stimme des Knaben" gesprochen:

"Wenn du es so genau weißt, dass wir den Heiland nicht finden,
dann konntest du ja auch bei den Schafen bleiben."

"Er geht mit", sagt der Alte laut,
"weil sein Hoffen stärker ist als sein Wissen."

Liebe Gemeinde! Damals wie heute gehen Menschen nicht zur Krippe, weil sie irgend etwas wissen. Dass sie doch ganz in Ordnung sind etwa. Oder dass Gott mit ihnen doch recht zufrieden sein könnte. Oder auch - und so war es damals bei dem Hirten mit "dem Mantel" - weil wir sicher sind, dass für uns keine Tröstung, keine Hilfe zu erwarten ist.

Das einzige, was uns antreibt, was uns auf den Weg zum Stall und unserem Heiland bringen kann und soll, ist unsere Hoffnung. Und dieser Hoffnung kommt - heute wie damals - Gottes Gnade und Barmherzigkeit entgegen. Darum wünsche ich uns zur Weihnacht, dass unsere Hoffnung stärker ist als all unser Wissen von uns selbst, all unser Dünken, Urteilen und Meinen. AMEN